27.10. Meteorologie-Lektion im Radio
Dank Andis professioneller Reparatur konnte ich heute wieder in die Arbeit radeln, was bei morgendlichen 12°C und täglich neuen Horrormeldungen zu Ebola-Fällen definitiv einer U-Bahn-Fahrt mit potentiell infektiösen Mitreisenden vorzuziehen war. Obwohl ich teilweise gegen den starken Wind ankämpfen musste, war ich auch heute die durchschnittlichen 5 Minuten schneller als mit der T-banen. Durch die windbedingt perfekte Durchmischung konnte ich den trockenisentropen Temperaturgradienten von -1°C pro 100 m bei der kleinen Bergetappe von Sofienberg nach Sogn am eigenen Leib spüren. Außerdem ermöglichte die Zeitumstellung den Verzicht auf die überdimensionierte Warnweste.

Während ich im Labor 156 Röhrchen mit Etiketten versah, da es entgegen der Annahme von Per Arne hierfür keinen Automaten gibt, ließ ich mich von „Radio Norge” unterhalten. Bevor sich die Lieder nach knapp zwei Stunden zu wiederholen begannen, erteilte ein Meteorologe im Zuge der Sendereihe „fun facts” eine Lektion über den Zusammenhang von Druckverhältnissen und Wind. Durch meine fachliche Kompetenz konnte ich manch sprachliches Hindernis überwinden, sodass ich nahezu lückenlos mitbekam, dass als grobe Richtlinie der höhere Druck auf der rechten Seite vorherrscht, wenn man sich mit dem Wind im Rücken aufstellt. Auf Norwegisch erleichtert die gemeinsame Wurzel von „hoch” (= høy) und „rechts” (= høyre) die Einprägung dieses Merksatzes. Im Englischen gibt es die Entsprechung „low to the left”. Lediglich deutschsprachige Meteorologen müssen dieses Gesetz entweder verstehen, auswendig lernen oder auf eine Fremdsprache als Merkhilfe ausweichen.

In der Mittagspause berichtete Jon von seinem Wochenende in Göteborg. Bei einem Pokerturnier im Casino wurde sein Freund sogar Fünfter und streifte einen ansehnlichen Gewinn ein, während Jon einiges verlor, was er jedoch durch den Import der höchstzulässigen Menge an günstigem Alkohol kompensierte.

Auf dem Weg zur Probe bemerkte ich, dass das Vorderlicht an meinem Rad nicht funktionierte. Offenbar möchte mich das Schicksal mit einem einwandfreien Fahrrad nicht langweilen. Nach einem 20-minütigen Einspielen, bei dem ich viel über die heikle Intonation mit einem alten Rohr lernte, probten wir ausschließlich Stücke für das Julekonsert. Nachdem sich meine Unzufriedenheit mit der Klangqualität bei den „Norwegian Evergreens”, „I saw Mommy Kissing Santa Clause” und „Fanfare Prelude on Ode to the Joy” unaufhaltsam gesteigert hatte, wechselte ich vor der Pause auf ein neues, völlig unbespieltes Qualitäts-Rohr, das ich vor Monaten vom Lehrer meiner Lehrerin bezogen hatte. Die mit einem Schlag weihnachtlich-samtige Obertonreihe riss den Dirigenten Kai in der Pause zu der Aussage hin, dass ich mit Anette und Irene über das Flugticket für das Konzert verhandeln sollte. Der Sofienberg Musikkorps bräuchte beim Weihnachtskonzert unbedingt eine Oboe. Langfristig sollte ich mir in Oslo eine Stelle suchen oder mein Studium hier fortsetzen, damit ich dem Verein erhalten bliebe. Im Gegenzug überhäufte ich Kai mit ehrlichen Komplimenten zu seiner bewundernswerten Arbeit mit der Kapelle, aus der er in wenigen Wochen das Optimum herausgeholt hatte. Dabei schaffte er es, mit den richtigen Worten seine Vorstellung von der Musik in Bilder umzuwandeln, mit denen jeder, auch des Norwegischen nicht Mächtige, etwas anfangen konnte. Obwohl Kai gelernter Schlagzeuger ist, legt er ein einzigartiges Gespür für die vielfältigen Schwierigkeiten in allen Registern an den Tag. Im spärlich beleuchteten Keller neben dem dampfenden Würstelkochtopf konnte ich nicht ganz eindeutig feststellen, ob er unter seinem Vollbart errötete. Bestimmt habe ich seine norwegische Bescheidenheit durch diese Lobeshymne ganz schön herausgefordert.

Nach der Pause erhielten wir die Noten von „TVs Julafton”. In diesem Medley reihen sich bekannte Melodien aus dem weihnachtlichen Disney-Film aneinander, der jährlich am 24.12. im skandinavischen Fernsehen gezeigt wird. Trotz des schwedischen Ursprungs boykottierten die Kollegen die Gesangspassage mit schwedischem Text nicht. Der Bekanntheitsgrad der Melodien erleichterte ihnen offensichtlich die fehlerlose Interpretation der fordernden Synkopen, die ich nicht einmal beim zweiten Durchgang richtig erwischte.