3.11. Auf der Jagd nach Elchen und Konzerten
Bei milden 10°C setzte ich die Tradition, mit dem Rad ins Praktikum zu fahren, trotz meiner Monatskarte fort. In Abwesenheit von Per Arne analysierte ich die PCR-Platten der Vorwoche. Obwohl die fehlenden Amplifikationen unumwunden und zeitsparend als „negativ” verbucht werden konnten, stellten mich die vielen Ausfälle nicht zufrieden. Schließlich würden sie durch die nötige Wiederholung des Versuchs doch mehr Zeit in Anspruch nehmen, als ich durch das vorläufig rasch gewonnene, negative Ergebnis gewinnen konnte.

Zum obligatorischen matpakke in der Kantine unterhielt uns Dag mit der Schilderung seines Jagdwochenendes in den Bergen. Gemeinsam mit seinem Sohn und einem Freund hatte er einen rund 100 kg schweren Elch erlegt. Nun war sein Schwager, ein gelernter Fleischhauer, gefordert, die Beute zu Filets und Salami zu verarbeiten. Damit würden die Kühltruhen von fünf Familien befüllt werden. Leider deklarierte Dag die Ware als unverkäuflich, sodass mir bis auf weiteres ein direkter Vergleich zu der mit reichlich Schweinefleisch gestreckten Elchsalami vom Bauernmarkt verwehrt bleibt.

In der abendlichen Probe konnte ich durch einige Blattlesestücke Parallelen zu meinem Stammverein in Zwettl ziehen. Nach dem überaus gelungenen Erstversuch an „Pilatus: Mountain of Dragons” verlangte Kai uns mit den rhythmisch anspruchsvollen, zeitgenössischen Stücken „In Flight” und „Parkour” von Samuel Hazo einiges ab. In der Pause unterhielt ich mich mit ihm über das bewegende Hochamt, in dem ich zu gern mitgespielt hätte. Viel mehr Sorgen bereitete Kai der drohende Oboenmangel beim julekonsert des Sofienberg Musikkorps. Schließlich sprach er mit ernster Miene die dringliche Empfehlung aus, mich diesbezüglich an Anette und Irene zu wenden, da die eine das organisatorische Geschick und die andere das nötige Kleingeld hätte. Als ich den Damen scherzend von Kais ausgeklügeltem Konzept erzählte, versicherte mir Irene plötzlich mit einem eifrigen, seriösen Grinsen, sie würde die Flugpreise auf Erschwinglichkeit prüfen. Plötzlich nahm dieser zunächst im Spaß ausgeheckte Schlachtplan, mich für das Weihnachtskonzert am 15.12. einfliegen zu lassen, so verrückt konkrete Formen an, dass ich so bald wie möglich meinen Stundenplan für Dezember eruieren wollte. Wie sporadische Geistesblitze durchzuckten glaubhafte Entschuldigungsgründe für ein Fernbleiben von der FH meine Gedanken. Zusätzlich trugen die festlichen Melodien aus „Ode to the Joy” und „Wizard of Oz” zur Festigung dieses Tagtraums bei. Obwohl ich nahezu jedes Wort von Eriks Anweisung, die Noten vom Konzert wegzuschmeißen, weil das Archiv überginge, verstand, würde ich dieser nicht Folge leisten, weil viel zu viele schöne Erinnerungen an diesen Stücken hafteten.

Da es sich heute um den ersten Montag im November handelte, rottete sich eine kleine Gruppe zum Fortgehen in das nahe gelegene Stammlokal zusammen. Nachdem sich zwei junge Pärchen, von denen eines unübersehbar in freudiger Erwartung war, bald verabschiedet hatten, erhielt ich von Anette und ihrem Mann Hans Kristian unzählige Tipps für Konzerte. Angeblich entfallen in Oslo auf jeden Einwohner mehr Konzerte als überall sonst auf der Welt oder zumindest in Europa. Im Riksscenen (= Reichsbühne) wird regelmäßig folkemusik dargeboten, während im Underwater jeden Dienstag und Donnerstag von Musikstudenten Opernarien vorgetragen werden, denen man gemütlich mit einem Bier in der Hand lauschen kann. Als ich mich nach norwegischen Weihnachtsbräuchen erkundigte, forderte Anette mich auf, unbedingt das traditionelle pinnekjøtt (= Fleisch am Spieß) zu probieren. Dabei handelt es sich um geräucherte, eingelegte Lammrippen, die zu Weihnachten mit reichlich akevitt (= Aquavit, skandinavischer Kümmelschnaps) serviert werden. Maria, eine mit einem Bayern verheiratete Schwedin, amüsierte mich durch manche Hörproben des norwegisierten bayrischen Dialekts. Von einem lang zurückliegenden Österreich-Aufenthalt war ihr ein kleines Städtchen in der Nähe von Salzburg in lebhafter Erinnerung, wo sie ein Konzert von Mnozil Brass besucht hatte. Bei der Schilderung dieses Abends geriet die Trompeterin in verzücktes Schwärmen, während sie am österreichischen Marillenschnaps kein gutes Haar ließ.

Maria und Roar

Um halb 12 und nach dem Konsum von lediglich einem Ringnes trat ich die gesittete Heimfahrt mit dem Rad an, wobei ich in einen heftigen Regenschauer geriet. Mein Vorderlicht wurde möglicherweise dadurch von dem Wackler geheilt, sodass es mit den alten Batterien wieder bestens funktionierte. Da ich das Rad ordnungsgemäß am Geländer ankettete und mich doppelt davon überzeugte, würde es in dieser Nacht selbst ein Orkan nicht umwehen können.