Mittwoch, 15. Oktober 2014
15.10. Halbzeit im Praktikum
Nach einem Frühstück ohne jegliches Tageslicht sattelte ich bei angenehmen 5°C und ohne das spannende Glücksspiel um das Aufspringen des Schlosses meinen Drahtesel.

Als ich im Labor übereifrig die Analysen mit frischen Polypen-Biopsien beginnen wollte, scheiterte ich an den unauffindbaren Proben. Da Per Arne erst zwischen halb 9 und 9 mit dem Zug von Gardermoen ankommen würde und Jon über Per Arnes Geheimverstecke nicht informiert war, erfragte ich mit einem SMS von Per Arnes Diensthandy, das er mir großzügig auch zur privaten Nutzung angeboten hatte, den Aufenthaltsort der DNA-Eluate. Ohne geantwortet zu haben, tauchte mein Betreuer 20 Minuten später persönlich im Büro auf und zeigte mir die wertvollen Schachteln in der Gefriertruhe. In seinem ausgeklügelten Ordnungssystem hätte ich mich ohne seine Anwesenheit ohnehin nicht zurechtgefunden. Während die Proben ausgehend von -80°C allmählich Raumtemperatur annahmen, druckte ich die 28 zugehörigen Etiketten aus und beklebte in meditativer Monotonie je ein Röhrchen. Nach der Herstellung von unverdünnten und verdünnten Arbeitslösungen setzte ich in gewohnter Weise die PCR an.

Nachmittags erteilte Jon Lisa und mir eine Lehrstunde in der KRAS-Analyse. Wenig überraschend wird eine mögliche Genmutation mittels PCR detektiert, wobei der definitive Befund erst aus der anschließenden Sequenzierung von Abschnitten des KRAS-Gens gestellt wird. Nach dem Ausschluss der weit häufigeren Wildtypen, also von Patienten ohne Mutation im KRAS-Gen, reduziert sich das Probenaufkommen für die Sequenzierung erheblich. Dadurch spart man Material, Kosten und vor allem Zeit.

Da Pathologie-Assistenten mit Pipetten annähernd so ungeschickt hantieren wie ich mit einem gallebesudelten Skalpell, übte ich mich in Toleranz gegenüber Lisas manchmal zu sorglosem Umgang mit dem heiklen Probenmaterial. Offensichtlich beanspruchte der unsichtbare Labor-Troll heute besonders viel Totvolumen für sich, sodass nach dem Aufteilen des Reaktionsansatzes in der letzten Portion fast ein Drittel fehlte. Nach Jons fachmännischer Kalkulation entnahm Lisa von allen anderen Portionen eine kaum sichtbare Menge, um den Durst des Trolls zu kompensieren.

Mit der gerecht befüllten PCR-Platte beschickten wir anschließend den Pipettierroboter. Während wir ihn nicht außer Augen ließen, zog Lisa zum Vergnügen aller unbeteiligten Molpat-Mitarbeiter in einer liebenswürdigen Art über ihre Kollegen auf der Makropathologie her. Angesichts der heutigen Anmeldefrist für das Årsfesten am 15.11., das man wie das Hinterteil im österreichischen Dialekt ausspricht, brachte ich in Erfahrung, dass von der Molpat-Gruppe niemand teilnehmen würde. Lisas gewinnender Art oder ihrem lebhaft geschilderten, rauschigen Absturz im Vorjahr war wohl der große Zuspruch in der Makropathologie zuzuschreiben. Da diese Jahresfeier im selben Gebäude wie das Konzert des Sofienberg Musikkorps stattfindet, stelle ich mir unter dem Café Månefisken (= Mondfisch) an der Akerselva eine geräumige, vielseitige Veranstaltungshalle vor, die ich bei einem meiner nächsten Läufe nicht übersehen würde.

Um seinem Ruf als sensorloser Grobian alle Ehre zu machen, weigerte sich der Pipettierroboter, für die letzten Schritte Pipettenspitzen aufzunehmen, sodass Jon die Platte händisch vervollständigen musste. Nach Lisas Aufbruch beschloss ich den Arbeitstag mit einer Konzentrationsmessung der neuen Proben, wobei ich zweimal auf die schwedische Methode bzw. den „Swedish button” zurückgreifen musste.

Erfreulicherweise flaut meine Verkühlung allmählich ab und meine vor zwei Wochen zugezogenen Brandblasen begrenzen sich bereits auf definitiv benignen, juckenden und zum Aufkratzen verlockenden Schorf. Da einem Start bei der Bygdøymila nun nichts mehr im Wege stand, führte ich abends die Anmeldung für Steffi und mich durch und leitete die erhaltene Rechnung an Andi weiter, der sich dankenswerterweise als Kreditgeber angeboten hatte.



13.10. Winteradjustierung
Beim -1°C kalten Gruß von Väterchen Frost stießen meine dünnen Handschuhe heute früh an die Grenzen ihres Isolationsvermögens. Nachdem ich auf der Anhöhe vor dem SINTEF mit großen Augen an einer Autofahrerin vorbeigeradelt war, die mit dem Eiskratzer die Windschutzscheibe bearbeitete, beobachtete ich durch Per Arnes Bürofenster den stimmungsvollen Sonnenaufgang.

Während ich mit den colorectalen Proben mehrere Analysen ansetzte und vom eintönigen Pipettieren beinahe einen Krampf erlitten hätte, da für LOH (noch) kein Programm für den Pipettierroboter existiert, stolperte ich über manche leere Röhrchen. Durch vorangegangene Tests hatte ich 5 Proben bis auf den letzten Tropfen aufgebraucht. Von einigen anderen stellte ich noch während des Zusammenmischens eine Verdünnung her, wobei mir hoffentlich bei dieser Verschachtelung der Arbeitsschritte kein Fehler unterlaufen ist.

Die Molpat-Gruppe nahm sich zum Glück kein Beispiel an jenen Hartgesottenen, die trotz der nur knapp zweistelligen Tageshöchsttemperaturen ihr matpakke in Gesellschaft einer Seemöwe im Grünen einnahmen. Bei meinem Lauf am Samstag hatte ich mich tatsächlich ein wenig verkühlt, sodass ich vor der Probe auf Winteradjustierung umstellte. Obwohl ich es pünktlich außer Haus schaffte, erreichte ich den einmal wöchentlich zum Probenraum umfunktionierten Turnsaal mit 15 Minuten Verspätung. Das aufmüpfige Fahrradschloss hatte mir neben dem letzten Nerv schließlich auch die Möglichkeit geraubt, zur Probe zu radeln, sodass ich den Weg – wie so oft in Zwettl – im Laufschritt bewältigte.

Angesteckt von der guten Laune des Dirigenten ließ ich mich von unseren Konzertstücken richtig mitreißen und bedauerte zutiefst, dass ich beim Weihnachstkonzert nicht mehr in Oslo sein könnte. Während ich am 1. September bei „I Saw Mommy Kissing Santa Clause” meinen Widerwillen kaum verbergen konnte, versetzte es mich heute in Vorfreude auf den Advent, den ich mir in Norwegen besonders stimmungsvoll ausmale. Bereits vor zwei Wochen hatte ich einen Straßenmusiker „Jingle Bells” spielen gehört. Zur Phrase des Tages küre ich hiermit das „andre hus”, was wörtlich übersetzt „zweites Haus” bedeutet und in der Musik für das umgangssprachlich bekannte „Zweier-Kastl” steht.

Nachdem ich zu Hause Andi von meinen unvollendeten Versuchen der Bezwingung des widerspenstigen Fahrradschlosses berichtet hatte, rückte er ihm mit Schmieröl zu Leibe. Da ich währenddessen in einen regenerativen Schlaf fiel, konnte ich den Sieger des Gefechts erst am nächsten Tag ermitteln.