16.10. Wintergruß
Nachdem ich morgens bei Nieselregen in die Arbeit geradelt war, traute meinen Augen nicht, als ich gegen 10 Uhr in einer künstlerischen Pause kurz Richtung Holmenkollen schaute. Es schneite waagrecht! Lediglich mein ambitionierter Tagesplan hielt mich davon ab, wie ein aufgescheuchtes Huhn durch das Labor zu laufen und meine gesamte Kollegenschaft auf dieses besondere Ereignis aufmerksam zu machen. Eine Stunde später waren bereits die Schanze und die umliegenden Hänge und Dächer weiß angezuckert, während einige hundert Meter tiefer kein Schnee liegen blieb.

Nachdem ich meine Konzentration wiederhergestellt hatte, setzte ich vor der Mittagspause eine komplexe Analyse mit mehreren Mischungen an. In der Mensa brachte ich den ersten Schnee in Oslo zur Sprache und stieß bei meinen Kollegen auf einstimmige Gleichgültigkeit ob dieses für Mitte Oktober durchschnittlichen, wenig beeindruckenden Ereignisses.

Nachmittags vertraute Jon nach der gestrigen Lehrstunde Lisa und mir in Eigenregie weitere Onkogen-Analysen „seiner” Polypen an. Nachdem wir den Labor-Troll mit einem vorsorglich vergrößerten Überschuss überlistet hatten, kontrollierten wir mit Adleraugen den Pipettier-Roboter. Um seine gestrige Arbeitsverweigerung gegen Ende des Programms zu umgehen, hielt ich ihm den Behälter mit den Pipettenspitzen entgegen, während er seinen Arm ohne Rücksicht auf Widerstand ausfuhr. Die Dramatik steigerte sich jedoch, da der Roboter nicht alles oder nichts pipettierte, sondern nur zwei von acht Spitzen nicht ergriff und zu allem Überfluss eine Spitze vor der Probenentnahme verlor. Mit Jons Hilfe gelang dennoch die Fertigstellung des Reaktionsansatzes auf der PCR-Platte. Dabei bedachten wir ihn unabsichtlich mit einer zusätzlichen Denksportaufgabe, indem wir ihn reuig davon in Kenntnis setzen mussten, dass wir die Platte um 180° verdreht in den Roboter gestellt hatten. Daher musste Jon bei der Auswertung in Excel die Anordnung der Proben entsprechend spiegeln. Selbst diese ärgerliche Nachricht konnte den gelassenen PhD-Studenten nicht aus der Fassung bringen, sodass Lisa und ich laut überlegten, wie weit wir gehen müssten, um ihn aus der Reserve zu locken. Möglicherweise könnten wir in zwei Wochen bei der Tagung mit der Unterstützung von Stine und Frasier, zwei gerissenen Pathologie-Assistentinnen, Erfolg haben. Jon konnte seine Vorfreude auf diese gemeinsame Fortbildung nur mit Mühe in seinem 10-Tage-Bart verbergen.

Während ich bei patzendem Schnee, der mit abnehmender Seehöhe Richtung Sofienberg allmählich in Regen überging, heimradelte, ersann ich für Lisas morgigen 30er ein kleines Geschenk. Mit einer handschriftlichen Übersetzung von Mamas Rezept für den ausgezogenen Apfelstrudel (extended apple strudel?) und einem Packerl Schnitten wollte ich dem Geburtstag der Norwegerin mit chinesischen Wurzeln eine österreichische Note verleihen.

In dem Wissen, am Wochenende durch Steffis lange ersehnten Besuch keine Zeit und keine Lust für die FH aufbringen zu können, ließ ich meiner Kreativität an den Folien für die Konzeptpräsentation der Bachelorarbeit am Abend freien Lauf. Erst als ich das Dokument im Abgabeforum hochgeladen hatte, bemerkte ich, dass die Frist für den 14.10. angesetzt gewesen war. Da es sich dabei nur um eine mit Nachdruck formulierte Bitte handelte, würde bei meiner Verspätung, geschmückt mit den Grüßen vom ersten Schnee in Oslo, hoffentlich ein Auge zugedrückt werden.