6.10. Und sie trinken doch
Nachdem ich tatsächlich das erste Mal nass im SINTEF eingetroffen und dankbar in die seit meinem Abteilungswechsel unbenützte Laborkleidung geschlüpft war, stellte ich mehrere Verdünnungen der DNA-Eluate von colorectalen Carcinomen her und erfasste deren Konzentrationen. Erfreulicherweise stimmten die Relationen überein. Unaufgefordert hatte Dag mir ein eigenes Programm für den Pipettierroboter erstellt, das er sogar nach mir benannt hatte. Damit konnte ich meinen Ansatz für die genomische PCR einfach durch Anwählen des grünen Pfeils zusammenmischen lassen, vorausgesetzt die Reagenzien, PCR-Platten und Pipettenspitzen standen an ihrem richtigen Platz. Mit dem Ergebnis, dass eine Verdünnung im Verhältnis 1:2 am besten geeignet ist, Inhibitoren zu unterdrücken und gleichzeitig möglichst viel DNA im Ansatz zu behalten, konnte ich Per Arnes Weltbild nicht erschüttern. Er hatte mir bereits am Freitag vorgeschlagen, mit diesen Verdünnungen die LOH-Analysen durchzuführen.

Beim gemeinschaftlichen matpakke im møterom konnte ich der auf Norwegisch geführten Debatte über den für Freitag angesetzten kakelunsj so weit folgen, dass ich auf Englisch anbot, einen österreichischen Apfelstrudel zu backen. Alle drei Wochen verbindet die Abteilung für Pathologie das Angenehme mit dem Nützlichen, indem abwechselnd eine andere Forschungsgruppe für Kuchen nach einer gemeinsamen Mittagspause im großen Konferenzzimmer der Makropathologie sorgt. Dabei steht selbstverständlich der Austausch über die aktuelle Forschung im Vordergrund. Am kommenden Freitag würde die Molpat-Gruppe insgesamt 5 Kuchen für alle Ärzte, Assistenten, Techniker und BMAs mitbringen.

Jon, der von Per Arne betreute, schlaksige PhD-Student, berichtete mir mit der Begeisterung eingeschlafener Füße von der Vergabe des Medizin-Nobelpreises an zwei verheiratete Neurowissenschafter des NTNU Trondheim (und einen US-Amerikaner), bei denen er während seiner Studienzeit sogar einige Vorlesungen gehört hatte. Da diese Meldung den Nationalstolz jedes Norwegers hervorkehren muss, kann es nur an Jons beinahe apathischer Art liegen, dass er seinen Enthusiasmus derart geschickt verbergen konnte.

Am Nachmittag eröffnete mir Per Arne die überwältigende Möglichkeit, an einer Forschungstagung teilzunehmen. Da ich ohne Umschweife zusagte, händigte er mir sofort das Programm aus. Am 31.10. und 1.11. werden in einem Hotel in der Nähe des Osloer Flughafens Vorträge über Krebsforschung, Onkologie, Entzündungsprozesse, genomische Pathologie, Nano-Strings, In-situ-Hybridisierung, Massenspektrometrie, digitale Techniken und einige organisatorische Aspekte abgehalten. Dazwischen gibt es gemeinsame Kaffeepausen und sogenannte Poster-Sessions, bei denen über die auf Pinnwänden illustrierten Inhalte angeregt diskutiert werden soll. Am Freitag Abend werden wir zu einem noblen Dinner im Norwegian Armed Forces Aircraft Museum eingeladen. Einige Mitarbeiter des Rikshospitalet werden als Referenten vertreten sein, andere, z.B. Jon und ich, als verantwortungslose Teilnehmer.

Auf der abendlichen, vom Dirigenten vollständig auf Norwegisch abgehaltenen Probe erlebte ich das vertraute Phänomen, dass die Konzertstücke seit Anfang September noch nicht bedeutend weitergereift waren. Obwohl dieser Musikverein erstaunlich gute Blattlesekompetenzen vorweisen kann, scheiterten wir kollektiv an dem „molto accelerando” in der Tetris-Melodie. Korobeiniki (Коробейники – die Hausierer) hat als russisches Volkslied einen mitreißenden Tanzcharakter, der möglicherweise auch das räumliche Vorstellungsvermögen beim Puzzeln anregt.

An der Turnsaalwand aufgehängte Fotos eines Schulausflugs in die Freia-Fabrik regten jedenfalls meine Neugier an, dieser Schokoladen-Hochburg mit Andi, Gordon und Anna II einen Besuch abzustatten. Da es sich heute um den ersten Montag im Oktober handelte, wurde das gemeinsame Fortgehen quasi vom Dirigenten angeordnet. Als Stammlokal der Musiker stellte sich tatsächlich jene Tapas-Bar heraus, die ich bereits mit Michi erfolgreich auf ihre Gemütlichkeit geprüft hatte.

Musiker-Stammlokal in der Sofienberggata

Da den Musikern ein Spezialpreis von 55–NOK (ca. 7–€) statt 68–NOK (ca. 8,5–€) für eine Halbe Ringnes gewährt wird, wird der Abend trotz des nächsten Arbeitstages gelegentlich ausgedehnt. Den zuvor verkündeten Konsens, nach einem Bier nach Hause zu gehen, warfen außer mir alle über den Haufen, sodass ich vor den Feierlichkeiten nach dem Konzert am 25.10. bereits einigen Respekt habe. Neben den humorvollen Kollegen Siri, die ich vorige Woche im Bleistiftduell besiegt hatte, und Hans schmeckte mir sogar das gewöhnungsbedürftige Bier.

Pub-Runde am ersten Montag im Oktober

Als mir vor dem ca. 200 Meter langen Heimweg das Rad wegen seines mit der Oboe ungleich belasteten Fahrradkorbs umfiel, dämmerte mir, dass ich mich über die norwegische Gesetzeslage zu alkoholisiertem Radfahren informieren sollte. Beim anschließenden Blick aus dem Küchenfenster bemerkte ich, dass der brausende Sturm offensichtlich mein an das Geländer gekettete Rad – auf den Weg zum Fahrradkäfig verzichte ich nach der Probe immer – umgeweht hatte. Da mich der Verlust seiner potentiellen Energie eher beruhigte als aufwühlte, fiel ich kurz vor Mitternacht schließlich in einen bleiernen Schlaf.