29.9. Wunden und Krebs
Bei meiner Fahrt ins Labor machte sich Andis Bremsenreparatur mehrmals bezahlt. Inspiriert von Gordons unkonventionellem Fahrstil und seiner Ignoranz gegenüber roten Ampeln forderte ich einige Beinahe-Unfälle heraus, die mir eine Lehre sein sollten. Auf einer Nebenstraße legte ich für einen ansehnlichen Apfel eine Vollbremsung hin und bettete ihn sachte in meinem Fahrradkorb.

Putzmunter widmete ich mich anschließend meinem Forschungsprojekt. Zunächst prüfte ich die Qualität der DNA-Verdünnungen mit einer genomischen PCR, wobei mich dankenswerterweise der technikaffine, Taekwondo-kämpfende Dag bei der Bedienung des Pipettierroboters unterstützte. Er stellte meinen Ergebnissen ein hervorragendes Zeugnis aus, sodass ich sofort die LOH-Analysen meiner Proben anschließen konnte. Dazu erhielt ich von Ingun, die in diesem Bereich mit fachlicher Expertise brilliert, wertvolle Tipps für die Praxis und einen lehrreichen Einblick in den theoretischen Hintergrund. Aufgrund der fortgeschrittenen, wie im Flug vergangenen Zeit verschob ich die mit Spannung erwartete, kapillarelektrophoretische Auswertung der PCR auf den nächsten Tag.

Durch die aufreibende Kombination von Desinfektionsmitteln und Gummihandschuhen waren meine Brandblasen vom Vortag undicht geworden und würden als lange währendes Mahnmal dienen. Deshalb ließ ich im Umgang mit dem ersten selbstgemachten fiskegrateng, dessen Rezept ich von meinem Besuch bei Valerie und Georg aus Bergen importiert hatte (Eintrag vom 19.8.), besondere Vorsicht walten. Dennoch schlichen sich durch meine Recherche für die Bachelorarbeit Erkenntnisse auf dem Gebiet der Krebsforschung in meine Gedanken, dass Tumore als nicht heilende Wunden beschrieben und im entzündlichen Milieu leichter initiiert oder in die Progression getrieben werden können.

Als ich mein für lächerliche 2 Stunden am Geländer vor der Haustür angekettetes Rad für die abendliche Probe sattelte, stellte ich entsetzt den Verlust bzw. Diebstahl des Hinterlichts fest. Dadurch wurde mein blindes Vertrauen in die Norweger ein wenig erschüttert.

Bei der Probe waren erneut die Holz- und Blechbläserfraktion voneinander getrennt, wobei wir im Keller mit einer resoluten Dirigentin unter anderem ein norwegisches Wiegenlied mit dem Titel „Bæ, bæ lille lam” probten, bevor wir uns eine Jazz-Version des Gospels „Just a Closer Walk with Thee” zu Gemüte führten. Das Lied vom kleinen Lamm erinnerte mich an „Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann”, lässt sich aber aufgrund seiner einfachen Akkordfolge und Melodie bestimmt mit unzähligen anderen Liedern vergleichen. Als mich die Dirigentin direkt ansprach und sinngemäß die ausgewogene Klangbalance durch das neue Instrument lobte, büßte ich meine mangelnden Sprachkenntnisse nicht lange, da sich herausstellte, dass sie über mittelmäßige Deutschkenntnisse verfügte. Daraufhin leitete sie die Probe zu ihrem Vergnügen mehr auf Deutsch als auf Norwegisch, sodass ausgerechnet ich meinen planlosen Registerkollegen mit Übersetzungen ins Norwegische behilflich war, z.B. „von Beginn” = „fra starten”. Eine mir bis dahin unbekannte Klarinettistin, die der Probe mit Sonnenbrillen und einem erfrischend alternativen Kleidungsstil beiwohnte, wurde ein wenig belächelt, als sie ihren Bleistiftwinzling aus der Tasche zog. Siegessicher stellte ich mein Stummelchen daneben und stach ihr Schreibgerät um knappe 2 mm aus. In der Pause brachte ich in Erfahrung, dass beim Konzert am 25.10. nur 4 Stücke auf dem Programm stünden: „Super Mario”, „World of Warcraft”, „Video Games Live” und je ein Stück für Holz- bzw. Blechbläser. Trotzdem würde danach ausgelassen gefeiert werden, wobei diese Definition sicher an die norwegischen Alkoholpreise angepasst werden muss.