19.8. Unfreiwillige Umwege nach Bergen
Da leider die multikulturelle Familie mein sicher geglaubtes Zimmer vor einigen Tagen offenbar jemand anderem zugesagt hatte, reiste ich mit Laptop in der Früh in einem vollen Zug nach Bergen. Die Strecke führte leicht nach Norden an klingenden Städtenamen wie Flå, Nesbyen, Gol und Ål vorbei und gab abwechselnd den Blick auf glitzernde Fjorde, glasklare Flüsse und reinweiße Schneefelder auf gerade einmal über 1000 Meter ragenden Gebirgszüge frei. In Geilo standen wir bereits 15 Minuten, als eine Durchsage verkündete, dass es einen Oberleitungsschaden gäbe, dessen Behebung in die Wege geleitet würde. Eineinhalb Stunden später, nachdem eine Reparaturlok gekommen war und die Fahrgäste mit einer Anschlussfähre in Autobusse umgestiegen waren, fuhr der Zug schließlich weiter. In Voss mussten überraschenderweise doch alle in einen Regionalzug umsteigen, der leider nicht mit Steckdosen ausgestattet war, sodass ich mit leerem Handyakku und zwei Stunden Verspätung in Bergen ankam.
Am Bahnhof hielt ich Ausschau nach Valerie, einer ehemaligen Studienkollegin auf der Meteorologie, die seit zwei Jahren ihren PhD in Bergen absolviert und seit einigen Wochen mit Georg, ihrem Freund, in eine gemeinsame Wohnung gezogen ist, wo sie seither als Dauerhostel fungieren. Wir hatten uns im Vorfeld so auf ein Wiedersehen gefreut, dass wir weder unsere neuen Handynummern noch die Adressen ausgetauscht, sondern uns nur nach der Planankunft des Zuges verabredet hatten. Daher versuchte ich, in einem Kaffeehaus an Internet zu kommen, um meine E-Mails zu überprüfen, und Strom in mein Handy zu pumpen. Die Kellnerin bot mir an, ihr Handy für einen Anruf zu benutzen, weil ich kein Netz empfangen konnte. Doch mit der österreichischen Nummer von Valerie kam ich nicht weit. Die Warteschlange bei der Auskunft der NSB erschien mir zu lang, sodass ich mein Glück bei einem gegenüberliegenden Hotel versuchte. Nachdem ich dem Rezeptionisten ausführlich jede Facette meiner misslichen Lage geschildert hatte, unterbrach er mich bei einer passenden Gelegenheit und meinte, falls ich einen Computer suche, solle ich in den nächsten Raum links gehen. Endlich fand ich die heiß ersehnte Nachricht in meinem Posteingang mit Adresse und norwegischer Telefonnummer von Valerie. Ein kurzer Blick auf den Stadtplan offenbarte die erlösende Nähe der Wohnung zum Bahnhof. Schließlich traf ich mit horrender Verspätung, großer Erleichterung über den glücklichen Ausgang und grenzenloser Freude über das Wiedersehen beim Meteorologen-Paar ein.
In dessen liebevoll, zum Teil mit Second-Hand-Möbeln, eingerichteter Wohnung fühlte ich mich zu vertrauten Klängen von Danzer sofort wie zu Hause. Valeries WG-Erfahrung bescherte ihr einige Rezepte für typisch norwegische Gerichte, sodass es zum Abendessen schmackhaften traditionellen fiskegrateng, einen Auflauf mit gebratenem Lachs, Nudeln, Bechamelsoße und Bröselkruste, gab. Unsere ausführlichen Gespräche drehten sich unter anderem um Selbstversorgung in Norwegen, was die beiden nahezu perfektioniert haben. Valerie züchtet am Balkon eine Auslese an Kräutern, Georg bäckt selbst Brot, beide waren schon öfters angeln und werden demnächst einen Bierbraukurs an der Uni absolvieren. Improvisationskunst beweisen sie auch beim Internetzugang, weil sie seit Wochen auf ein Modem bzw. den Techniker warten und dank voriger Besucher den Zugang zum W-LAN des gegenüberliegenden Hostels haben. Für ausreichenden Empfang muss man allerdings auf den Balkon gehen und den Laptop nach Süden ausrichten, wobei der starke Wind an diesem Abend eine zusätzliche Herausforderung darstellte. Die Seite des Sauerteig-Forums ließ sich aber laden und überzeugte mich endgültig, selbst mit dem Brotbacken zu beginnen. Bemerkenswert, dass ich für eine Fortsetzung dieser Kindheitserinnerung nach Norwegen gehen musste und schon Gefahr zu laufen drohte, dass jemand Mamas bestgeeignete, hölzerne Brotkörbe inzwischen ersteigert hatte!
woodmenka am 22. August 14
|
Permalink
|
0 Kommentare
|
kommentieren