15.8. Ein Tag auf den Lofoten
Als um 3:30 der Wecker läutete, war die Dämmerung schon lange vorüber, sodass Lydie und ich den Sonnenaufgang gesehen hätten, wenn es nicht wie aus Kübeln geschüttet hätte. Durch die aufweichende Fahrradfahrt zum Hafen wurden wir recht munter. Das machte sich bezahlt, als wir uns mit der Autofähre weiter vom Festland entfernt hatten, die Wolkendecke der Sonne einige Lücken ließ und wir motiviert das Deck erklommen, um kitschige Fotos zu schießen.

kitsch

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Bei unserem späteren Durchhänger hinderten uns leider zwei kleine Kinder auf der sonst fast unbeseelten 4-Uhr-30-Fähre am Schlafen. Moskenes auf den Lofoten präsentierte sich um 8 Uhr morgens umso verschlafener, windig und kühl, sodass ich auf dem ersten Abschnitt unserer Wanderung nach Å – keine Abkürzung, sondern ein vollständiger Ortsname, der richtig derb ausgesprochen werden will – sogar eine Haube aufsetzte.

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rainbow

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Lydie wollte eigentlich nach 2 km ins Gelände einsteigen und an der Westküste der Lofoten biwakieren, beschloss aber, ihrer Müdigkeit geschuldet, mit mir auf der Straße nach Å weiterzugehen und dem französischen Couchsurfer, den sie in der Vorwoche bei sich hatte nächtigen lassen, einen Besuch an seinem Arbeitsplatz, dem Tørrfiskmuseum (= Trockenfischmuseum), abzustatten. Bei aufklarender Bewölkung kamen wir in den Genuss eines sensationellen Fernblicks zur linken sowie der Aussicht auf steile, überaus dicht bewachsene Felswände auf der rechten Seite unseres Weges.

stelzen

Der Franzose, der aus gedächtnisversagenden Gründen leider anonym bleiben muss, empfing uns bei der Bäckerei, über deren Backstube sein Zimmer lag, wodurch er sich wohl jeden Raumspray ersparte, und lud uns auf Kaffee und eine warme kanel boller (= Zimtschnecke) ein. Dabei handelte es sich um die leicht verkohlte, unverkäufliche, daher an die Hausbewohner verschenkte Ausschussware, deren Benzpyrene wir großzügig den Spatzen überließen, die von mutagenen Substanzen entweder noch nichts gehört haben oder darauf pfeifen. Mit sehr anständigem Englisch führte André (wäre denkbar) uns durch die Museumshütten über Trockenfischverarbeitung inkl. Kostprobe, ausrangierte Fischkutter und das erste Motorboot, Lebertran inkl. Kostprobe (besser als sein Ruf) und eine Schmiede.

fischkopf

ungeheuer

lebertran

Anschließend zeigte er uns seine Lieblingsplätze an der Küste, wo er vor einigen Tagen einen Wal gesichtet hatte. Obwohl uns das verwehrt blieb, kehrten wir mit bleibenden Eindrücken zur Bäckerei zurück. Da die Abfischsaison noch nicht begonnen hatte, waren die unzähligen Holzgestelle zum Trocknen der Fische noch unbehangen, und so mischte sich nur ein dezenter Fischgeruch unter das alles einhüllende Zimtaroma. Dieser haftete dafür sogar dem Trinkwasser an.

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trockengestell

Spontan entschlossen Lydie und ich uns, per Anhalter nach Reine nördlich von Moskenes zu fahren, obwohl die Lofoten über ein intaktes, zuverlässiges Bussystem verfügten. Bei drei Bayerinnen im norwegischen Mietauto hatten wir schließlich Erfolg. Der Abstecher nach Reine belohnte uns mit wechselhaften Wetter- und Lichtverhältnissen und dem dritten Regenbogen des Tages, dessen Goldtopf zum Greifen nahe schien.

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Lydie änderte laufend ihre Wanderpläne, bis wir bei einem spanischen Pärchen im Auto landeten, das sich auf Hochzeitsreise befand. In der Nähe von Finnbyen stieg sie schließlich aus und ward nicht mehr gesehen. Das junge Paar nahm mich zu den verträumten Klängen spanischer Gitarrenmedleys bis nach Svolvær mit, was insgesamt knapp 130 km waren, wobei wir gelegentlich an fototauglichen Plätzen Halt machten und ich sogar Muscheln sammeln konnte. Die Lofoten kennzeichnet ein alpines Erscheinungsbild mit üppiger Vegetation, das zusätzlich mit Küste, teilweise Sandstrand und Meerblick auftrumpft. Bei 12°C Lufttemperatur verzichtete ich auf eine nasse Erfrischung.

sandstrand

norway

lofotenkirche

In Svolvær übermannte mich die Neugier auf ein Gericht, das in der EU verboten ist: Walfleisch. Meine moralischen Bedenken waren schon zuvor durch das Wissen, dass Norwegen nicht einmal annähernd seine maximalen Fangmengen ausschöpft und im Gegensatz zu Japan den ganzen Wal verwertet, zerstreut worden. In einem gemütlichen Bistro am Hafen entschied ich mich für ein Walsteak mit Erdäpfelsalat, Vollkornbrot (das war’s wert!) und Salatgarnitur um stolze 200 NOK (ca. 25 €). Das dunkelrote Walfleisch erinnert an Wild, aber die rasch auskühlende Medium-Variante meines Gerichts weckte keine Begeisterungsstürme in mir, sodass mir der Verzicht in Zukunft sehr leicht fallen wird.

wal

Einem Händler auf der Agora von Svolvær kaufte ich dann auch keine Rentiersalami ab, weil eine touristische Abzocke auf der Hand lag, da seine Preise auch in Euro angeschrieben und dabei großzügig aufgerundet waren.

Für die Rückreise nach Bodø blieb mir durch die fortgeschrittene Tageszeit nur der Luxus der Hurtigruten zur Wahl, der für Studenten immerhin zum halben Preis zu haben war (250 NOK, also ca. 31 €). Über 8 Decks erstreckten sich Kabinen, Suiten, Cafés, Konferenzräume, ein Restaurant, ein Fitnesscenter, dampfende Whirlpools im Freien und mehrere Lounges. Die Inneneinrichtung war im Stil der Titanic gehalten. Zum regelrechten Stilbruch verkam allerdings die Aufforderung, sich beim Betreten des Schiffs die Hände mit auf Silbertabletts bereitgestellten Desinfektionsmitteln zu entkeimen. Ich richtete mir in der Aussichtslounge auf Deck 7 einen bequemen Couchplatz ein und kroch in meinen Hüttenschlafsack.

hurtig

Um 2:30 legten wir in Bodø an, wo ich nach einer halben Stunde Marsch mit Stirnlampe schließlich in der Dämmerung Lunas Apartment erreichte. Da das Tor abends versperrt wird, hatte sie sich in ihrer aufopfernden Art einen Wecker gestellt, um mir eine weitere Nacht in ihrem Couchsurfing-Paradies zu ermöglichen. Wenn sie nicht am nächsten Tag frei gehabt hätte, hätte ich dieses Angebot sicher nicht angenommen.