12.8. Trondheim
Tiefenentspannt wachte ich auf und besorgte mir die Zutaten für mein Frühstück vom Bunnpris, einem Diskonter. 420 g Joghurt erhält man um umgerechnet 2 €, obwohl Norwegen massiv Viehwirtschaft betreibt und regionale Produkte fördert. Am späten Vormittag begab ich mich alleine auf einen ausgedehnten Erkundungsmarsch durch das verschlafene Trondheim, dessen Studenten erst ab nächster Woche für merkbare Belebung der Stadt sorgen, die sich unter anderem in sprunghaft steigenden Bierpreisen äußert. Mein Spaziergang führte mich die Nidelva entlang zur Werft (Nedre Elvehavn) und durch die Fjordgata (gata = Gasse) zu einer geruchsarmen fiskehall (Übersetzung überflüssig) neben dem Anlegeplatz für die Schnellboote nach Munkholmen (= Mönchsinsel) mit ihrem Benediktinerkloster. Von der Innenstadt war ich ein wenig enttäuscht, weil erstens viel gebaut wurde und sie zweitens überraschend eng begrenzt war. Sämtliche Kirchenportale waren versperrt. Dafür befindet sich die heutige Bibliothek auf kirkeruiner, wovon ein halbwegs vollständiges Skelett in einem Glaskasten zeugt, der dekorativ neben einem Holzsteg platziert ist. Im Visensenteret (= Wissenszentrum) war für die Kleinen eine Sonderausstellung liebevoll aufbereitet, die ich mir auch gern angesehen hätte. Weiter flussabwärts passierte ich den Garten einer Tierliebhaberin, die u.a. für zwei Schwäne eine Badewanne aufgestellt hat, aus der sie allerdings auch trinken.

skelett

schwan

Im Rettsmuseum (= Rechtsmuseum), dem ehemaligen kriminalasylet (= Strafgefängnis), besichtigte ich bei freiem Eintritt eine Ausstellung über Polizeiuniformen und Dienstwaffen einst und jetzt, wobei selbst das Modell aus 1995 recht antiquiert und nicht ganz ernst zu nehmend wirkte. Detailgetreue Nachbauten einer alten Wachstube, einer Gefängniszelle, einer Festnahme einer Betrunkenen auf offener Straße unter den neugierigen Augen einer Nachbarin (ziemlich zeitlos) und eines Nachtwächters versetzten mich in eine nicht sehr rosige Zeit. Als Irrenhaus war das Gebäude bis 1960 in Betrieb!

nachtwacht

Auf dem Weg zum Gjestehavn (= Gästehafen) holte mich das Rauschen des Meeres, das laufend von vorbeifahrenden Zügen unterbrochen wurde, zurück in die Gegenwart. Beim Bau der Bahnunterführung wurde offenkundig an Rädern Maß genommen, da sich die Pedalritter und Fußgänger bücken müssen, um sich keine Beule am Stahlgerüst zu holen. Vorbei an niedlichen Traumhäusern in der Hafenpromenade sichtete ich den perfekten Jausenplatz mit Blick aufs offene Meer. Zum Glück hatte eine behäbige Dame im stiftsgården alle Möwen und Tauben bei sich versammelt, sodass ich von gelebtem Futterneid verschont wurde.

unterfuehrung

lady

meer

flusslandschaft

Der Rückweg führte mich über die fünfte Brücke des Tages am Leichtathletikstadion vorbei, dessen Bahn verlockend in der Nachmittagssonne glühte. Auf dem Universitätsgelände fand ich endlich in Ansätzen das, wofür Trondheim bekannt ist: orientierungslose Studenten, die sich an die Fersen ihres fadders (= Tutor) hefteten, ohne den sie hier hoffnungslos verloren wären – Gleichgesinnte! Nach einem nicht weiter erwähnenswerten Aussetzer meines Orientierungssinns fand ich in Simons Wohnung zurück. Dort bereiteten wir ein multikulturelles Menü zu. Für seinen ugandischen Suppeneintopf taute er alle 7-10 in Plastik eingeschweißten Ochsenkochen in der Mikrowelle auf und warf sie dann ins kochende Wasser. Daneben köchelten meine französischen Erdäpfel für eine österreichische Studentenpfanne. Simon hatte eine Zeit lang als Koch gearbeitet und staunte nicht schlecht, als ich den Brokkoli samt klein geschnittenem Strunk dazugab. Er kostete den vermeintlichen Abfall und stellte fast überrascht fest, dass er auch nach Brokkoli schmeckte. Als ich ihn dann hysterisch daran hinderte, den abgeschöpften Fond seiner Ochsenbrühe wegzukippen, und ihn stattdessen trank, stempelte er mich endgültig als verrückt ab. Er dickte seinen Eintopf mit einer Fertig-Currysauce und grünen Bohnen aus der Dose ein und würzte kräftig mit Cayennepfeffer nach. Wir verspeisten beide Gänge gleichzeitig und diesmal lehnte ich das großzügige Viertel verdauungsfördernden, portugiesischen Rotweins nicht ab. Trotz meiner passablen Chili-Toleranz rührte mich der Eintopf zu Tränen, während Simon den Schärfegrad als „normal” abtat. Er erzählte mir von einem libanesischen Abendessen bei Bekannten, das so scharf war, dass er sich betrinken musste, weil er nichts davon essen konnte. Nach diesem kulinarischen Höhepunkt meines Aufenthalts ging Simon ins Fitnesscenter und ich mit einem Becher in den Wald, da ich der Verlockung der kleinen Himbeeren nicht widerstehen konnte. Zügig hatte ich den Becher halb voll, als eine französische Studentin verwundert stehen blieb und auch von den Sträuchern naschte. Dem Ruf einer Kräuterhexe machte ich spätestens dann alle Ehre, als auf dem Heimweg zwei schwarze Katzen unseren Weg kreuzten. In der Dämmerung sprachen wir noch gegenseitige Couchsurfing-Einladungen nach Paris und Wien aus, bevor wir uns trennten.

dinner

himbeer

Zurück bei Simon sah ich zum ersten Mal unsynchronisierte amerikanische Serien mit norwegischen Untertiteln und kabarettreife norwegische Werbungen, die mich hier noch länger begleiten werden. Da ich Simons Biorhythmus nicht völlig aus der Bahn werfen wollte, plante ich mit seiner Hilfe meine öffentliche Abreise am nächsten Morgen und verabschiedete mich vorsorglich von ihm, da er garantiert nicht um 6 Uhr aufwachen würde.