Donnerstag, 30. Oktober 2014
29.10. Andis Geburtstag
Mit „Du bist alt” aus der Serie „Sponge Bob” in voller Lautstärke befeuerte mein Laptop Andi zum Aufwachen an seinem heutigen Geburtstag. Nach der nächtlichen Kaltfront, die von Mitternacht bis 5 Uhr der Niederschlagsbilanz 15 l/m2 hinzugefügt hatte, zeichnete sich in der Morgendämmerung durch das postfrontale Absinken ein sonniger Tag ab. Statt der gestrigen 14°C verließen wir heute bei 7°C das Haus.

Pseudopotentielle Temperatur 29.10.2014 00 UTC
Quelle: http://www.wetter3.de/Archiv/. Abgerufen am 09.11.2014.

Während ich im Labor eine fertige PCR-Platte mit Formamid und einem Größenstandard für die Fragmentanalyse vorbereitete, steckte Jon seinen Kopf zur Tür des Post-PCR-Raums herein, um mir anzubieten, ihn für einen Western Blot zu Lisa ins Rikshospitalet zu begleiten. Da ich die quirlige Halb-Chinesin und ihre kulinarischen Geheimtipps schon vermisst hatte, kam ich nach dem Starten der Kapillarelektrophorese nach.

Allgemein gültige Laborregeln geflissentlich ignorierend traf ich Jon und Lisa mit ihren Wasserflaschen und Smartphones neben Methanol, Polyacrylamidgel und anderen Chemikalien an. Während die angelegte Spannung die Proteine im Gel nach ihrer Größe elektrophoretisch auftrennte, zeigte mir Lisa Bilder norwegischer Weihnachtsgerichte. Julepølse (= Weihnachtswurst) mit surkåk (= Sauerkraut), lutefisk (= Laugenfisch, ein gewässerter Trockendorsch) mit bacon (= Speck), erterstuing (= Erbsenpüree) und poteter (= Erdäpfel) sowie das klassische Weihnachtsessen pinnekjøtt (= wörtlich „Fleisch am Spieß", meist Lammrippen) mit kålrabistappe (= Kohlrabipüree) sorgen für einen abwechslungsreichen Speiseplan an den Feiertagen. Die Regale im Supermarkt mittlerweile erobert hat der rakfisk (= fermentierter Fisch), zu dem ich mich bisher noch nicht überwunden habe. Zuerst muss ich mich in einem Vinmonopolet (= Alkoholgeschäft für Getränke ab ca. 5 Volumsprozent) mit reichlich Aquavit (= skandinavischer Kümmelschnaps) eindecken, um den möglicherweise unerträglichen Nachgeschmack rasch neutralisieren zu können. Mit risengrynsgrøt (= Milchreis) als Nachtisch ließe sich das Grausen endgültig beseitigen. Der Milchreis wird zu Weihnachten in Form von riskrem mit Vanillezucker, gehackten Mandeln, Himbeer-Sirup sowie Vanilleeis oder Schlagobers zu einem Festtagsdessert veredelt.

Passend zu diesem kulinarischen Exkurs zur Überbrückung der Wartezeit brauten wir den Western Blot wie in einer Hexenküche zusammen. Zuerst stellten wir literweise Puffer aus konzentrierten Stocklösungen her und mischten sie wie gelernte Barkeeper. Aus genießbarem Milchpulver rührten wir mit einem Magnetrührer eine Milchlösung an, die zum Blockieren freier Antikörper-Bindungsstellen eingesetzt wird. Dann präparierten wir die hauchdünnen Membranen für den Blot wie ein Wiener Schnitzel, indem wir sie zuerst für eine Minute in einer Plastikwanne mit Methanol wendeten, dann mit der Pinzette in eine Wanne mit destilliertem Wasser überführten und nach zwei Minuten in der letzten Wanne mit Transferpuffer überschichteten. In einer Plastikkassette legten wir schichtweise Schwamm, Filterpapier, Gel, Membran, Filterpapier und Schwamm aufeinander, verschlossen das „Sandwich” und setzten es unter Strom, um die aufgetrennten Proteine vom Gel auf die Membran zu transferieren (= „blotten”).

Während Jon und ich unser matpakke im møterom einnahmen, unterhielten wir uns über norwegische Geschwindigkeitsbeschränkungen. Das Übertreten der vorgeschriebenen 50 km/h im Ortsgebiet, 80 km/h im Freiland bzw. je nach Beschilderung 90-110 km/h auf dem motorvei (= Autobahn) wird mit rigorosen Strafen geahndet. Seine Tante bezahlte vor kurzem ca. 3000 NOK (ca. 355 €), weil sie im Ortsgebiet um 15 km/h zu schnell unterwegs war. Für Alkohol am Steuer gilt eine Grenze von 0,2 Promille. Ab 0,4 Promille wird der Führerschein für 6 Monate entzogen. Diesen besitzen in Oslo ohnehin nicht viele, weil er teuer und überflüssig ist. Jon zeigte sich mit dem öffentlichen Verkehrsnetz sehr zufrieden und greift gelegentlich auf Carsharing zurück. Im Winter belächelt er dafür die Autofahrer, die sich mit Schwung über die von den Schneepflügen aufgetürmten Schneemassen katapultieren müssen, um ihre Parklücke zu verlassen.

Als Jon nachmittags für das Anbringen des primären Antikörpers auf den Western Blot erneut ins Rikshospitalet aufbrach, zog ich die Auswertung meiner unzähligen Fragmentanalysen vor. Dadurch entging ich geschickt einer sehr wahrscheinlichen overtid (= Überstunde).

Da morgen unser Kollege Lars Erik nach seiner Kündigung seinen letzten Arbeitstag im SINTEF haben würde, hatte ich Ingun versprochen, für den felleslunsj (= gemeinsames Mittagessen) einen Mohnstrudel zu backen. Von den Erzählungen über die Opiate und positiven Drogentests hatte sich Lars Erik im Zuge der Kostprobe von Mamas Mohnzelten schon beeindruckt gezeigt, sodass sich der Strudel als berauschendes österreichisches Abschiedsgeschenk förmlich aufdrängte. Mangels meiner Erfahrung geriet er überaus länglich, sodass er nur diagonal auf das Backblech passte. Obwohl ich vorschriftsmäßig mit der Gabel auf ihn einstach, riss er in der Mitte über die ganze beträchtliche Länge auf. Mit dem unbeabsichtigt hohen Salzgehalt traf ich genau den norwegischen Geschmack, da meine Kollegen von klein auf an gesalzene Butter gewöhnt sind. Während österreichische Rezepte oft eine Prise Salz verlangen, verwendet man in Norwegen beim Backen stattdessen etwas mehr Butter. Im Geschäft muss man bei Butter und Margarine den Zusatz „uten salt” (= ohne Salz) meist mit der Lupe suchen. Dann verzichtet man jedoch auf die selbst bei Kühlschranktemperatur gegebene Streichfähigkeit als praktischen Nebeneffekt.

Während Andi mit Gordon im Sprachkurs die Schulbank drückte, besorgte ich die Zutaten für seine Geburtstagstorte und brachte die in Norwegen mit Pfand belegten Bierdosen zurück. In Gedanken bereits bei vollen Dosen vergaß ich die Pfandrückgabequittung im Automaten. Als ich kurz darauf vom Bierregal, dem werktags um 18 Uhr der Riegel vorgeschoben wird, zurückkehrte, hatte ein wegen seiner gebrochenen Nase Respekt einflößender Mann netterweise meinen Bon neben den Automaten gelegt. Erneut imponierte mir diese selbst in der Großstadt spürbare ehrliche und vertrauensvolle Geisteshaltung.

Obwohl Kürbisse und Süßigkeiten dieser Tage in nahezu jedem Supermarkt feilgeboten wurden, schob ich den Schnäppcheneinkauf für meine Rückkehr von der Tagung am Samstag auf. Wie ich von meinen Kollegen erfahren habe, entstand der Trubel um Halloween auch in Norwegen erst im Laufe der letzten 10-20 Jahre. Während Kinder mit dem Sprüchlein „knask eller knep” auf die Jagd nach Süßigkeiten gehen, übertrumpfen sich Jugendliche auf Halloween-Parties gegenseitig mit abschreckend eingefärbten Gerichten.

Geradezu appetitlich arrangierte ich für Andis Geburtstagstorte in Anlehnung an sein soeben abgeschlossenes Lebensjahr 3 + 4 verschiedene Biersorten mit je einem Teelicht auf einem Teller, stellte eine Tafel Kvikk Lunsj in die Mitte und verzierte das Werk mit Blättern. Da mein Sauerteigbrot ohne Mehl auf dem Backpapier gehen musste und diesmal von einer Zellstoff-Kruste ummantelt ist, während Andis Geburtstagskuchen optisch und geschmacklich überzeugte, sollte ich vielleicht in Zukunft ihm das Backen überlassen.

Andis Geburtstagstorte

Inzwischen hatte ich vom Geburtstagskind persönlich ein SMS mit der Einladung erhalten, nach seinem Sprachkurs in die Pizzeria ums Eck mitzukommen. Da ich mein Handy hier nur als Wecker benütze, gleicht meine Erreichbarkeit einem Lotteriespiel. Im „Pane & Vino”, dem Stammlokal des Sofienberg Musikkorps, fanden sich schließlich der Ire Gordon, der Italiener Francesco, die Spanierin Margot sowie die Waldviertler Andi und Anna zum Feiern ein. Anna II musste wegen chronischer Magenprobleme leider absagen. Bestimmt hätte sie wie Margot und ich ebenfalls eine Pizza in Herzform serviert bekommen. Laut Francescos kritischem Urteil verdiente das Lokal durchaus einen zweiten Besuch. Allerdings würde der gebürtige Italiener die „Pizza Norway”, die selbstverständlich mit Würsteln belegt ist, auch dann nicht bestellen.

Die drei Männer genehmigten sich je ein Ringnes, während Margot und ich beim Wasser blieben. Auf dieses griff Andi zurück, um den Schluckauf nach einem Stück meiner scharfen Diavola – die grammatikalisch weibliche Pizza entlarvt jeden Möchtegern-Italiener – zu bekämpfen. In der geselligen Runde erzeugte die sprachliche Vielfalt teilweise Verwirrung, da laufend zwischen Englisch, Hochdeutsch, Waldviertlerisch, Spanisch, Italienisch und Norwegisch gewechselt wurde. Andi ließ sich von der Schandtat, sein nicht vorhandenes Urlaubsgeld für die ganze Runde auszugeben, unangenehmerweise nicht abbringen. Daher sei ihm an dieser Stelle nochmals herzlich für die großzügige Einladung gedankt!

Pizzaessen mit Andi

Auf dem Heimweg berichtete Gordon von seinen Plänen mit Anna II, an einem Wochenende im November eine Hüttenwanderung zu unternehmen. Jedes Mitglied beim DNT (= Den Norske Turistforening), dem norwegischen Pendant zum Alpenverein, erhält einen Schlüssel für alle Selbstversorger-Hütten. Nach dem Vertrauensgrundsatz hinterlässt man dort Geld im Wert der konsumierten Nächte, Lebensmittel und Heizmaterialien.

Während der heutige Tag in Oslo ziemlich genau 9 Stunden dauerte, wurde Wien sogar mit über 10 Stunden Tageslicht verwöhnt, wie die Sonnenauf- und -untergangszeiten zeigen.

Oslo: 7:30 und 16:31
Wien: 6:34 und 16:42



Dienstag, 28. Oktober 2014
28.10. Produktiv
Zum Frühstück bei Tageslicht fusionierten Andi und ich zwei Kuchenrezepte, die ich vor einem Monat bei meinem Kurzbesuch zu Hause aus Mamas altbewährtem Kochbuch fotografiert hatte. Dazu diktierte ich ihm eine detaillierte Anleitung für die Zubereitung, weil ihm mit der reinen Zutatenliste für seinen Geburtstagskuchen nicht geholfen sein würde.

Bei erstaunlichen 14°C radelte ich erneut gegen den Sturm und hatte gelegentlich Mühe, die Spur zu halten. Danach verbrachte ich einen arbeitsintensiven, produktiven Tag im Labor. Im Gegensatz zu meinen ersten zwei Wochen als Zuschauer auf der Makropathologie genoss ich die Geschäftigkeit und das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Zum Pipettieren gab „Radio Norge” mit norwegischem Reggae und sanftem Techno den Rhythmus vor. Beinahe pünktlich zum lunsj hatte ich die Kapillarelektrophorese-Apparatur mit zwei bis auf die letzte Vertiefung vollen PCR-Platten belagert und zwei neue Platten für die DNA-Amplifikation (PCR) in die Thermocycler eingebracht. Nachmittags unterwarf ich noch drei Platten der PCR. Mit einer Überstunde hätte ich sogar noch die Fertigstellung der kapillarelektrophoretischen Fragmentanalyse abwarten und einen neuen Lauf starten können. Um morgen auch noch mit abwechslungsreicher Arbeit eingedeckt zu sein, verließ ich jedoch zur gewohnten Zeit das Labor.

An der Akerselva nutzten einige Kinder die stürmischen Verhältnisse, um ihre bunten Drachen steigen zu lassen. Zu Hause erwischte mich Andi beinahe am falschen Fuß, weil er ungewohnt früh von der Arbeit heimkam. Obwohl in seinem Vertrag weder Zeitausgleich noch bezahlte Überstunden noch Urlaubsgeld vorgesehen sind, wird seine Leistung nicht nach Arbeitsstunden, sondern nach Produktivität gemessen. Da morgen sein Geburtstag war, ließ er die offenen Aufgaben dennoch ruhen und widmete sich seinem ersten selbst gebackenen Kuchen seit Kindheitstagen.

Durch das Anzüchten des Sauerteigs war leider unsere einzige Rührschüssel besetzt, sodass ich von den Nachbarn eine Küchenmaschine oder zumindest eine Schüssel ausborgen wollte. Obwohl ich frisch geduscht in die Spione lächelte, öffnete erst im zweiten Stockwerk über uns jemand die Tür. Da die Küche des Studentenpaares mit keiner Plastikschüssel dienen konnte, kehrte ich unter vorgespielter Dankbarkeit mit einer robusten Keramikschüssel als Notlösung von meinem Ausflug ins Stiegenhaus zurück. Nachdem ich Andi vorgewarnt hatte, dass der Mixer bereits auf niedrigster Stufe auf Hochtouren läuft, überließ ich ihm die Küche. Gelegentlich erkundigte er sich nach der korrekten Umsetzung von Definitionen wie „schaumig” und „unterheben”. Abgesehen davon fabrizierte er seinen Schoko-Nuss-Kuchen völlig ohne meine Hilfe. Dabei leistete die geborgte Keramikschüssel wider Erwarten brauchbare Dienste. Durch das exakte Einhalten der maximal 10-minütigen Verarbeitungszeit von Backpulver ging das Werk in der Kastenform gewaltig in die Höhe. Diese Aufgabe werden morgen früh bei dem Sauerteigbrot die Hefepilze übernehmen, von deren erfolgreicher Vermehrung der Geruch bereits zeugt. So intensiv und produktiv wie heute und morgen kann diese Küche, gemessen an der vorhandenen Ausstattung, bisher nicht genutzt worden sein.



27.10. Meteorologie-Lektion im Radio
Dank Andis professioneller Reparatur konnte ich heute wieder in die Arbeit radeln, was bei morgendlichen 12°C und täglich neuen Horrormeldungen zu Ebola-Fällen definitiv einer U-Bahn-Fahrt mit potentiell infektiösen Mitreisenden vorzuziehen war. Obwohl ich teilweise gegen den starken Wind ankämpfen musste, war ich auch heute die durchschnittlichen 5 Minuten schneller als mit der T-banen. Durch die windbedingt perfekte Durchmischung konnte ich den trockenisentropen Temperaturgradienten von -1°C pro 100 m bei der kleinen Bergetappe von Sofienberg nach Sogn am eigenen Leib spüren. Außerdem ermöglichte die Zeitumstellung den Verzicht auf die überdimensionierte Warnweste.

Während ich im Labor 156 Röhrchen mit Etiketten versah, da es entgegen der Annahme von Per Arne hierfür keinen Automaten gibt, ließ ich mich von „Radio Norge” unterhalten. Bevor sich die Lieder nach knapp zwei Stunden zu wiederholen begannen, erteilte ein Meteorologe im Zuge der Sendereihe „fun facts” eine Lektion über den Zusammenhang von Druckverhältnissen und Wind. Durch meine fachliche Kompetenz konnte ich manch sprachliches Hindernis überwinden, sodass ich nahezu lückenlos mitbekam, dass als grobe Richtlinie der höhere Druck auf der rechten Seite vorherrscht, wenn man sich mit dem Wind im Rücken aufstellt. Auf Norwegisch erleichtert die gemeinsame Wurzel von „hoch” (= høy) und „rechts” (= høyre) die Einprägung dieses Merksatzes. Im Englischen gibt es die Entsprechung „low to the left”. Lediglich deutschsprachige Meteorologen müssen dieses Gesetz entweder verstehen, auswendig lernen oder auf eine Fremdsprache als Merkhilfe ausweichen.

In der Mittagspause berichtete Jon von seinem Wochenende in Göteborg. Bei einem Pokerturnier im Casino wurde sein Freund sogar Fünfter und streifte einen ansehnlichen Gewinn ein, während Jon einiges verlor, was er jedoch durch den Import der höchstzulässigen Menge an günstigem Alkohol kompensierte.

Auf dem Weg zur Probe bemerkte ich, dass das Vorderlicht an meinem Rad nicht funktionierte. Offenbar möchte mich das Schicksal mit einem einwandfreien Fahrrad nicht langweilen. Nach einem 20-minütigen Einspielen, bei dem ich viel über die heikle Intonation mit einem alten Rohr lernte, probten wir ausschließlich Stücke für das Julekonsert. Nachdem sich meine Unzufriedenheit mit der Klangqualität bei den „Norwegian Evergreens”, „I saw Mommy Kissing Santa Clause” und „Fanfare Prelude on Ode to the Joy” unaufhaltsam gesteigert hatte, wechselte ich vor der Pause auf ein neues, völlig unbespieltes Qualitäts-Rohr, das ich vor Monaten vom Lehrer meiner Lehrerin bezogen hatte. Die mit einem Schlag weihnachtlich-samtige Obertonreihe riss den Dirigenten Kai in der Pause zu der Aussage hin, dass ich mit Anette und Irene über das Flugticket für das Konzert verhandeln sollte. Der Sofienberg Musikkorps bräuchte beim Weihnachtskonzert unbedingt eine Oboe. Langfristig sollte ich mir in Oslo eine Stelle suchen oder mein Studium hier fortsetzen, damit ich dem Verein erhalten bliebe. Im Gegenzug überhäufte ich Kai mit ehrlichen Komplimenten zu seiner bewundernswerten Arbeit mit der Kapelle, aus der er in wenigen Wochen das Optimum herausgeholt hatte. Dabei schaffte er es, mit den richtigen Worten seine Vorstellung von der Musik in Bilder umzuwandeln, mit denen jeder, auch des Norwegischen nicht Mächtige, etwas anfangen konnte. Obwohl Kai gelernter Schlagzeuger ist, legt er ein einzigartiges Gespür für die vielfältigen Schwierigkeiten in allen Registern an den Tag. Im spärlich beleuchteten Keller neben dem dampfenden Würstelkochtopf konnte ich nicht ganz eindeutig feststellen, ob er unter seinem Vollbart errötete. Bestimmt habe ich seine norwegische Bescheidenheit durch diese Lobeshymne ganz schön herausgefordert.

Nach der Pause erhielten wir die Noten von „TVs Julafton”. In diesem Medley reihen sich bekannte Melodien aus dem weihnachtlichen Disney-Film aneinander, der jährlich am 24.12. im skandinavischen Fernsehen gezeigt wird. Trotz des schwedischen Ursprungs boykottierten die Kollegen die Gesangspassage mit schwedischem Text nicht. Der Bekanntheitsgrad der Melodien erleichterte ihnen offensichtlich die fehlerlose Interpretation der fordernden Synkopen, die ich nicht einmal beim zweiten Durchgang richtig erwischte.



Sonntag, 26. Oktober 2014
26.10. Gam(m)le Oslo
Um mindestens 5 Jahre gealtert, also relativ gammel (= alt), schob ich als Reparaturessen ein Hendl ins Rohr und hörte mir aus dem Online-Archiv das heutige Ö1-Morgenjournal an. Die Einleitung „Wenn Sie jetzt das Morgenjournal hören, haben Sie bei der Zeitumstellung alles richtig gemacht.” war offensichtlich nicht für die „Nachhörer” konzipiert. In Echtzeit schaute ich mir anschließend Hirschers Sieg beim ersten Skirennen der Männer an. Selbst die norwegischen Kommentatoren bewerteten seine Leistung als „maktdemonstrasjon”, was wohl keiner Übersetzung bedarf.

Während ich die Fotos des gestrigen Abends durchstöberte und die Erinnerungen chronologisch damit verknüpfte, gammelte ich müßig auf der Couch herum. Draußen fegte ein Sturm das Laub durch die Straßen und sorgte für einwandfreie Durchmischung der bodennahen Luftschichten, sodass ich angesichts der milden Temperaturen Lars Martins Schal entbehrlich fand. Da er darüber hinaus einen allzu intensiven Geruch verbreitete, der mein Kopfweh prolongierte, entfernte ich ihn schließlich aus dem Radius meiner Wahrnehmung. Ebenfalls mit einem Anflug von Kopfweh kehrte Andi von seinem Museumsbesuch mit der Sprachkurs-Gruppe heim, sodass man ab dem frühen Nachmittag in der Wohnung eine Stecknadel fallen hören hätte können.

Während ich der Zeitumstellung in der Früh noch keinen Vorteil abgewinnen konnte und mir stattdessen eine spätere Dämmerung gewünscht hätte, half mir die früh einfallende Dunkelheit beim Aufarbeiten meines Schlafdefizits. Heute verschwand die Sonne bereits um halb 4 hinter dem Rauchfang des gegenüber liegenden Wohnblocks, wobei die Stunden für das Lesen am Balkon allein schon wegen der Jahreszeit gezählt sein dürften.

Oslo: 7:22 und 16:39
Wien: 6:29 und 16:47



Freitag, 24. Oktober 2014
24.10. Diamant-Reflektoren
Nachdem ich bei unwahrscheinlichen 11°C die Wohnung verlassen und die Haube sofort wieder eingepackt hatte, erwischte ich auf Anhieb den richtigen Abgang zur U-Bahn. Trotz des allgemeinen Arbeitsbeginns fuhren die sechs Linien teilweise in 10-Minuten-Intervallen. Praktischerweise bringen mich drei davon direkt zum „Forskningsparken”. Im Zentrum von Oslo, von Tøyen bis Majorstuen, halten alle sechs Linien an insgesamt sechs Stationen, bevor sie sich aufteilen und die Randbezirke aller Himmelsrichtungen an das Netz anbinden. Gemessen an der Größe der Stadt wäre die U-Bahn (= T-bane) schon entbehrlich, während Straßenbahnen und Busse der reinste Luxus sind.

Mit meinem Perspektivenwechsel vom Radfahrer zum Fußgänger schärfte sich auch mein Bewusstsein für die Sichtbarkeit. Anlässlich des Tags des Reflektors lagen diese Woche in der Kaffeeküche diamantförmige Reflektoren zur freien Entnahme auf, von denen ich je einen an meiner Jacke und meinem Rucksack befestigte. Dieser schicke Ersatz für die dreckbespritzte Warnweste über dem Regen-Poncho ist dem Portier im SINTEF bestimmt nicht entgangen, erwidert er doch täglich ausgesprochen freundlich meine norwegischen Grüße beim Betreten und Verlassen des Gebäudes.

Beim traditionellen Freitags-Meeting brachte uns ein Gastprofessor die Forschungstätigkeit in seiner Abteilung in Überlänge näher. Danach mikroskopierten Jon, Lisa und ich mit dem Oberarzt Krzysztof – er verzeihe mir die möglicherweise falsche Anzahl und Position der „z” in seinem Namen – immunhistochemisch gefärbte Schnitte von Adenomen und Carcinomen im Darmtrakt. Dazu bedienten wir uns eines Diskussionsmikroskops mit 8 Okularen. Während dies in österreichischen Labors umgangssprachlich als „Hirsch” bezeichnet wird, bin ich mir ziemlich sicher, dass es sich hierzulande um einen „Elch” handelt. Krzysztof würzte die Lehrstunde sporadisch mit seinem trockenen Humor und lehnte das Angebot eines größeren Büros mit der Begründung ab, nicht noch mehr Platz für Objektträger haben zu wollen. Die Samthandschuhe im Umgang mit Jon würde er jedenfalls ablegen, sobald Jons nächste Publikation, bei der Krzysztof als Drittautor aufscheinen würde, in einem Journal abgedruckt ist.

Verspätet, also fast schon zur gewohnten österreichischen Mittagszeit, nahmen Jon und ich unser matpakke im Konferenzzimmer ein. Daneben hielten wir eine Besprechung mit Per Arne ab, in der er meine nächsten Aufgaben umriss. Er würde mir einen Kriminalfall konstruieren, den ich mit einer ID-PCR lösen sollte. Dabei sollte ich anhand von DNA aus Wangenschleimhautzellen eine Patientenverwechslung aufdecken. Davor könnte ich noch 33 weitere colorectale Carcinome (CRC) auf LOH und MSI untersuchen, damit die Datenbank auf 50 ausgewertete Patienten anwachse. Oberste Priorität hätte jedoch die Entwicklung eines neuen LOH-Pakets, für das die Reagenzien zwar schon bestellt, aber noch nicht eingetroffen sind. Falls ich meine Arbeit hier nicht beenden könnte, würde sie jemand anderer weiterführen und Per Arne würde mich über den Ausgang auf dem Laufenden halten.

Zunächst widmete ich mich mangels Alternativen weiteren CRC-Proben. Nach der Auswahl von 39 Patienten mit je einer Probe mit normalen Zellen (N) und Tumorzellen (T) und davon wiederum je zwei Verdünnungsstufen versagte mir die Etikettiermaschine ihren Dienst. Von den jungen Kolleginnen wusste niemand, wo eine neue Etikettenrolle zu finden war, weil sie in ihrer kurzen Laufbahn noch nicht vor diesem Problem gestanden waren. Der etwas ältere Dag wechselte schließlich mit einigen routinierten Handgriffen die Rolle, sodass ich kurz darauf gut vier Meter mit meinen 156 Etiketten in Händen hielt.

Mit einer Banane als Belohnung entließ mich Per Arne ins wohlverdiente Wochenende. Um mir zumindest das gute Gefühl einer schlechten Generalprobe zu verschaffen, übte ich die Konzertstücke alleine in der Wohnung. Jon wird morgen leider doch nicht im Publikum sitzen, weil seine Freundin und die Freundin eines Freundes verreist sind und die Burschen daher das Wochenende mit günstigem Alkohol in Schweden verbringen werden. Da Gordon und Anna II ihren Konzertbesuch wetterabhängig spontan entscheiden wollen, könnte ich in der Statistik der meisten mitgebrachten Zuhörer noch weit zurückfallen.



Donnerstag, 23. Oktober 2014
23.10. Verdens beste
Während ich im Ö1-Morgenjournal dem Bericht über die Schneelage in Österreich nach der massiven Kaltfront vom Tief „Gonzalo” lauschte, setzte sich das Geräusch des Dauerregens in Oslo im Hintergrund fort. Mit dem lange unbenützten – weil beim Radfahren unhandlichen – Regenschirm brach ich heute etwas früher auf und kaufte mir eine 30-Tages-Karte. Andächtig tauchte ich in die überschaubare Menge öffentlich reisender Erwerbstätiger ein. Der ungewohnten Situation mit Optimismus begegnend stieg ich froh über die trockene Anreise bei der Station „Forskningsparken” aus und hielt auf dem kurzen Fußweg zum SINTEF wachsam Ausschau nach polnischen Autos. Dabei schenkte ich jedoch dem Gehsteig zu wenig Aufmerksamkeit, sodass ich zielsicher in eine voluminöse Lacke stieg und mich um rücksichtslose Autofahrer nicht länger sorgen musste.

Dank hoch affiner chemischer Bindungen zwischen dem Rauleder meiner Winterschuhe und dem aufgetragenen Imprägnierungsspray blieben meine Füße dennoch trocken, sodass ich sie bei der erneuten Eroberung von Per Arnes Büro bedenkenlos auf den Schreibtisch hätte legen können. Nachdem ich die Auswertung der vergangenen Analysen am Nachmittag fertiggestellt hatte, erlaubte ich mir, den Drucker nach Lisas Vorbild für private Zwecke zu nutzen und ein paar Rezepte auszudrucken. Wegen der Lieferungen von Martina, Michi und Steffi legte ich dabei den Schwerpunkt auf Nuss und Mohn.

Mit auf den Heimweg nahm ich auch die Quintessenz aus Jons Sequenzierungsanalyse. Nach dem Fehlversuch am Dienstag hatte die ohne Lisa und mich angesetzte PCR die DNA in gewünschter Weise vervielfältigt, sodass er mir die eindrucksvollen Genmutationen einiger Proben zeigen konnte. Angesichts der vielen Einflussgrößen auf den Erfolg einer PCR können wir die Ursache für das Versagen des ersten Ansatzes getrost dem Zufall in die Schuhe schieben.

An das absolut unnorwegische Gefühl, auf dem Heimweg von der Arbeit anstatt der Absichten anderer Verkehrsteilnehmer ein Buch lesen zu können, muss ich mich erst gewöhnen. Als kompensatorische Maßnahme bereitete ich den norwegischen Nationalkuchen zu, der mich beim letzten kakelunsj (Eintrag vom 10.10.) beeindruckt hatte. Mein „Verdens beste” (= der Weltbeste) verdiente diese Bezeichnung wegen einer vom Rezept abweichenden, viskösen Vanillecreme auf einem nahezu unschneidbaren Mandelboden zwar nicht, lieferte aber trotzdem ein annehmbares Geschmackserlebnis.

Verdens beste

Obwohl Andi mir am Abend freihändig ein Organigramm mit all seinen Auftraggebern, Projekten und Baustellen zeichnete, fehlt mir immer noch der Durchblick in dieser internationalen Angelegenheit. Gordon und er müssen nicht nur mit der sprachlichen Barriere kämpfen, sondern werden teilweise mit unmenschlichen Aufgaben betraut, die jeden Rahmen sprengen, aber nicht angemessen bezahlt werden. Dagegen sind meine langen To-Do-Listen geradezu eine Lappalie.



Dienstag, 21. Oktober 2014
20.10. Generalprobe
Nachdem ich fast trocken bei 10°C in die Arbeit gekommen war, wertete ich die Fragmentanalyse der PCR der Vorwoche aus. Da morgen wegen der Installation des neuen Geschirrspülers in der Kaffeeküche der Strom im Hauptlabor für einige Stunden abgedreht werden würde, wollte ich heute möglichst viele Proben analysieren. Zwischendurch verschaffte ich mir etwas Abstand vom Bildschirm, indem ich die DNA-Konzentration jener Probe erneut bestimmte, die bei der ersten Messung in der 1:2-Verdünnung mehr DNA als im unverdünnten Zustand aufgewiesen hatte. Entweder gelang mir heute die glorreiche Reproduktion des Fehlers oder der Labor-Troll hatte die Etiketten vertauscht. Denn das Spektralphotometer detektierte einen noch höheren DNA-Gehalt in der verdünnten Probe als vorige Woche. Da die PCR ohnehin funktioniert hatte, wollte ich mir über dieses Mysterium nicht länger den Kopf zerbrechen. Jon hatte inzwischen im Zuge seiner Denksportaufgabe erfolgreich das Excel-Datenblatt für seine Polypen gedreht und damit den Fehler durch die von Lisa und mir verkehrt eingesetzte Platte ausgemerzt (Eintrag vom 16.10.). Per Arne zeigte sich peinlich berührt bis verärgert darüber, dass die Bürokratie hinter meinem Gehalt solche Ausmaße angenommen hatte. Erst heute konnte er etwas vage ankündigen, dass in den nächsten Tagen alles Nötige in die Wege geleitet würde.

Der Regen der letzten Tage hatte die Akerselva in einen reißenden Strom mit Strudeln und ohrenbetäubend tosenden Wasserfällen verwandelt. Besonders gigantisch stürzten sich die Fluten beim Månefisken, wo unser Konzert stattfinden würde, herab. Dort diente das Spritzwasser nicht nur als kühle Erfrischung bei 15°C Lufttemperatur, sondern auch als Reflexionsbasis für einen kitschigen Regenbogen. Ob ich heute wohl das letzte Mal im kurzen Gewand laufen war?

Zur abendlichen Generalprobe schaffte ich es wegen des im wahrsten Sinn des Wortes reibungslos parierenden Schlosses pünktlich. Ganze fünf Tage vor dem Konzert erfuhr ich, dass weit mehr als 4 Kompositionen auf dem Programm standen. Neben „Super Mario”, „World of Warcraft”, „Video Games Live” und den je zwei kammermusikalischen Stücken der Holz- und Blechbläser würden wir am Samstag auch die erst kürzlich ausgeteilten, noch reifungsbedürftigen Arrangements von „Street Fighter” und „Tetris” zur Aufführung bringen. Nachdem ich in der Pause ein schwarzes Poloshirt mit dem Aufdruck des Sofienberg Musikkorps in Empfang genommen hatte, lauschte ich vor der zweiten Halbzeit aufmerksam Eriks Ankündigungen für das Konzert. Da ich den Inhalt erahnen konnte und hauptsächlich Zahlen genannt wurden, verstand ich nahezu jedes Detail. Wir würden uns um 14 Uhr, also 2 Stunden vor Beginn, treffen, ganz in schwarz auftreten und 100 NOK Eintritt verlangen. Danach stünde es jedem frei, in ein nahe gelegenes Pub mitzugehen. Nicht ganz den Temperaturen entsprechend probten wir als Auflockerung ein paar Stücke für das julekonsert (= Weihnachstkonzert) am 15.12., bei dem ich leider nicht mehr mitspielen kann. Dabei hätten mir die „Norwegian Evergreens” mit Tango und Walzer außerordentlich gut gefallen.



Donnerstag, 16. Oktober 2014
16.10. Wintergruß
Nachdem ich morgens bei Nieselregen in die Arbeit geradelt war, traute meinen Augen nicht, als ich gegen 10 Uhr in einer künstlerischen Pause kurz Richtung Holmenkollen schaute. Es schneite waagrecht! Lediglich mein ambitionierter Tagesplan hielt mich davon ab, wie ein aufgescheuchtes Huhn durch das Labor zu laufen und meine gesamte Kollegenschaft auf dieses besondere Ereignis aufmerksam zu machen. Eine Stunde später waren bereits die Schanze und die umliegenden Hänge und Dächer weiß angezuckert, während einige hundert Meter tiefer kein Schnee liegen blieb.

Nachdem ich meine Konzentration wiederhergestellt hatte, setzte ich vor der Mittagspause eine komplexe Analyse mit mehreren Mischungen an. In der Mensa brachte ich den ersten Schnee in Oslo zur Sprache und stieß bei meinen Kollegen auf einstimmige Gleichgültigkeit ob dieses für Mitte Oktober durchschnittlichen, wenig beeindruckenden Ereignisses.

Nachmittags vertraute Jon nach der gestrigen Lehrstunde Lisa und mir in Eigenregie weitere Onkogen-Analysen „seiner” Polypen an. Nachdem wir den Labor-Troll mit einem vorsorglich vergrößerten Überschuss überlistet hatten, kontrollierten wir mit Adleraugen den Pipettier-Roboter. Um seine gestrige Arbeitsverweigerung gegen Ende des Programms zu umgehen, hielt ich ihm den Behälter mit den Pipettenspitzen entgegen, während er seinen Arm ohne Rücksicht auf Widerstand ausfuhr. Die Dramatik steigerte sich jedoch, da der Roboter nicht alles oder nichts pipettierte, sondern nur zwei von acht Spitzen nicht ergriff und zu allem Überfluss eine Spitze vor der Probenentnahme verlor. Mit Jons Hilfe gelang dennoch die Fertigstellung des Reaktionsansatzes auf der PCR-Platte. Dabei bedachten wir ihn unabsichtlich mit einer zusätzlichen Denksportaufgabe, indem wir ihn reuig davon in Kenntnis setzen mussten, dass wir die Platte um 180° verdreht in den Roboter gestellt hatten. Daher musste Jon bei der Auswertung in Excel die Anordnung der Proben entsprechend spiegeln. Selbst diese ärgerliche Nachricht konnte den gelassenen PhD-Studenten nicht aus der Fassung bringen, sodass Lisa und ich laut überlegten, wie weit wir gehen müssten, um ihn aus der Reserve zu locken. Möglicherweise könnten wir in zwei Wochen bei der Tagung mit der Unterstützung von Stine und Frasier, zwei gerissenen Pathologie-Assistentinnen, Erfolg haben. Jon konnte seine Vorfreude auf diese gemeinsame Fortbildung nur mit Mühe in seinem 10-Tage-Bart verbergen.

Während ich bei patzendem Schnee, der mit abnehmender Seehöhe Richtung Sofienberg allmählich in Regen überging, heimradelte, ersann ich für Lisas morgigen 30er ein kleines Geschenk. Mit einer handschriftlichen Übersetzung von Mamas Rezept für den ausgezogenen Apfelstrudel (extended apple strudel?) und einem Packerl Schnitten wollte ich dem Geburtstag der Norwegerin mit chinesischen Wurzeln eine österreichische Note verleihen.

In dem Wissen, am Wochenende durch Steffis lange ersehnten Besuch keine Zeit und keine Lust für die FH aufbringen zu können, ließ ich meiner Kreativität an den Folien für die Konzeptpräsentation der Bachelorarbeit am Abend freien Lauf. Erst als ich das Dokument im Abgabeforum hochgeladen hatte, bemerkte ich, dass die Frist für den 14.10. angesetzt gewesen war. Da es sich dabei nur um eine mit Nachdruck formulierte Bitte handelte, würde bei meiner Verspätung, geschmückt mit den Grüßen vom ersten Schnee in Oslo, hoffentlich ein Auge zugedrückt werden.



Mittwoch, 15. Oktober 2014
15.10. Halbzeit im Praktikum
Nach einem Frühstück ohne jegliches Tageslicht sattelte ich bei angenehmen 5°C und ohne das spannende Glücksspiel um das Aufspringen des Schlosses meinen Drahtesel.

Als ich im Labor übereifrig die Analysen mit frischen Polypen-Biopsien beginnen wollte, scheiterte ich an den unauffindbaren Proben. Da Per Arne erst zwischen halb 9 und 9 mit dem Zug von Gardermoen ankommen würde und Jon über Per Arnes Geheimverstecke nicht informiert war, erfragte ich mit einem SMS von Per Arnes Diensthandy, das er mir großzügig auch zur privaten Nutzung angeboten hatte, den Aufenthaltsort der DNA-Eluate. Ohne geantwortet zu haben, tauchte mein Betreuer 20 Minuten später persönlich im Büro auf und zeigte mir die wertvollen Schachteln in der Gefriertruhe. In seinem ausgeklügelten Ordnungssystem hätte ich mich ohne seine Anwesenheit ohnehin nicht zurechtgefunden. Während die Proben ausgehend von -80°C allmählich Raumtemperatur annahmen, druckte ich die 28 zugehörigen Etiketten aus und beklebte in meditativer Monotonie je ein Röhrchen. Nach der Herstellung von unverdünnten und verdünnten Arbeitslösungen setzte ich in gewohnter Weise die PCR an.

Nachmittags erteilte Jon Lisa und mir eine Lehrstunde in der KRAS-Analyse. Wenig überraschend wird eine mögliche Genmutation mittels PCR detektiert, wobei der definitive Befund erst aus der anschließenden Sequenzierung von Abschnitten des KRAS-Gens gestellt wird. Nach dem Ausschluss der weit häufigeren Wildtypen, also von Patienten ohne Mutation im KRAS-Gen, reduziert sich das Probenaufkommen für die Sequenzierung erheblich. Dadurch spart man Material, Kosten und vor allem Zeit.

Da Pathologie-Assistenten mit Pipetten annähernd so ungeschickt hantieren wie ich mit einem gallebesudelten Skalpell, übte ich mich in Toleranz gegenüber Lisas manchmal zu sorglosem Umgang mit dem heiklen Probenmaterial. Offensichtlich beanspruchte der unsichtbare Labor-Troll heute besonders viel Totvolumen für sich, sodass nach dem Aufteilen des Reaktionsansatzes in der letzten Portion fast ein Drittel fehlte. Nach Jons fachmännischer Kalkulation entnahm Lisa von allen anderen Portionen eine kaum sichtbare Menge, um den Durst des Trolls zu kompensieren.

Mit der gerecht befüllten PCR-Platte beschickten wir anschließend den Pipettierroboter. Während wir ihn nicht außer Augen ließen, zog Lisa zum Vergnügen aller unbeteiligten Molpat-Mitarbeiter in einer liebenswürdigen Art über ihre Kollegen auf der Makropathologie her. Angesichts der heutigen Anmeldefrist für das Årsfesten am 15.11., das man wie das Hinterteil im österreichischen Dialekt ausspricht, brachte ich in Erfahrung, dass von der Molpat-Gruppe niemand teilnehmen würde. Lisas gewinnender Art oder ihrem lebhaft geschilderten, rauschigen Absturz im Vorjahr war wohl der große Zuspruch in der Makropathologie zuzuschreiben. Da diese Jahresfeier im selben Gebäude wie das Konzert des Sofienberg Musikkorps stattfindet, stelle ich mir unter dem Café Månefisken (= Mondfisch) an der Akerselva eine geräumige, vielseitige Veranstaltungshalle vor, die ich bei einem meiner nächsten Läufe nicht übersehen würde.

Um seinem Ruf als sensorloser Grobian alle Ehre zu machen, weigerte sich der Pipettierroboter, für die letzten Schritte Pipettenspitzen aufzunehmen, sodass Jon die Platte händisch vervollständigen musste. Nach Lisas Aufbruch beschloss ich den Arbeitstag mit einer Konzentrationsmessung der neuen Proben, wobei ich zweimal auf die schwedische Methode bzw. den „Swedish button” zurückgreifen musste.

Erfreulicherweise flaut meine Verkühlung allmählich ab und meine vor zwei Wochen zugezogenen Brandblasen begrenzen sich bereits auf definitiv benignen, juckenden und zum Aufkratzen verlockenden Schorf. Da einem Start bei der Bygdøymila nun nichts mehr im Wege stand, führte ich abends die Anmeldung für Steffi und mich durch und leitete die erhaltene Rechnung an Andi weiter, der sich dankenswerterweise als Kreditgeber angeboten hatte.



13.10. Winteradjustierung
Beim -1°C kalten Gruß von Väterchen Frost stießen meine dünnen Handschuhe heute früh an die Grenzen ihres Isolationsvermögens. Nachdem ich auf der Anhöhe vor dem SINTEF mit großen Augen an einer Autofahrerin vorbeigeradelt war, die mit dem Eiskratzer die Windschutzscheibe bearbeitete, beobachtete ich durch Per Arnes Bürofenster den stimmungsvollen Sonnenaufgang.

Während ich mit den colorectalen Proben mehrere Analysen ansetzte und vom eintönigen Pipettieren beinahe einen Krampf erlitten hätte, da für LOH (noch) kein Programm für den Pipettierroboter existiert, stolperte ich über manche leere Röhrchen. Durch vorangegangene Tests hatte ich 5 Proben bis auf den letzten Tropfen aufgebraucht. Von einigen anderen stellte ich noch während des Zusammenmischens eine Verdünnung her, wobei mir hoffentlich bei dieser Verschachtelung der Arbeitsschritte kein Fehler unterlaufen ist.

Die Molpat-Gruppe nahm sich zum Glück kein Beispiel an jenen Hartgesottenen, die trotz der nur knapp zweistelligen Tageshöchsttemperaturen ihr matpakke in Gesellschaft einer Seemöwe im Grünen einnahmen. Bei meinem Lauf am Samstag hatte ich mich tatsächlich ein wenig verkühlt, sodass ich vor der Probe auf Winteradjustierung umstellte. Obwohl ich es pünktlich außer Haus schaffte, erreichte ich den einmal wöchentlich zum Probenraum umfunktionierten Turnsaal mit 15 Minuten Verspätung. Das aufmüpfige Fahrradschloss hatte mir neben dem letzten Nerv schließlich auch die Möglichkeit geraubt, zur Probe zu radeln, sodass ich den Weg – wie so oft in Zwettl – im Laufschritt bewältigte.

Angesteckt von der guten Laune des Dirigenten ließ ich mich von unseren Konzertstücken richtig mitreißen und bedauerte zutiefst, dass ich beim Weihnachstkonzert nicht mehr in Oslo sein könnte. Während ich am 1. September bei „I Saw Mommy Kissing Santa Clause” meinen Widerwillen kaum verbergen konnte, versetzte es mich heute in Vorfreude auf den Advent, den ich mir in Norwegen besonders stimmungsvoll ausmale. Bereits vor zwei Wochen hatte ich einen Straßenmusiker „Jingle Bells” spielen gehört. Zur Phrase des Tages küre ich hiermit das „andre hus”, was wörtlich übersetzt „zweites Haus” bedeutet und in der Musik für das umgangssprachlich bekannte „Zweier-Kastl” steht.

Nachdem ich zu Hause Andi von meinen unvollendeten Versuchen der Bezwingung des widerspenstigen Fahrradschlosses berichtet hatte, rückte er ihm mit Schmieröl zu Leibe. Da ich währenddessen in einen regenerativen Schlaf fiel, konnte ich den Sieger des Gefechts erst am nächsten Tag ermitteln.



Sonntag, 12. Oktober 2014
12.10. Ein österreichischer Sonntag
Während ich am frühen Morgen bei prasselndem Regen mein nächstes, in Roberts Brotbackform mit Haferflocken-Beschichtung zu ansehnlicher Höhe aufgegangenes Sauerteigbrot ins Rohr schob, hörte ich in einem österreichischen Radiobericht die richtiggestellten Temperaturverhältnisse. Österreich wurde von einem kräftigen Südföhn heimgesucht, der lokal für Temperaturen über 20°C sorgte. Nachdem sich in Oslo nachmittags die Sonne durchgesetzt hatte, krochen die Stadtbewohner in Scharen aus ihren Höhlen und bevölkerten laufend, Rad fahrend oder schlendernd die Gehsteige. Sobald die Sonne jedoch hinter dem Rauchfang des gegenüberliegenden Wohnhauses untergetaucht war, verlor mein Leseplatz am Balkon schlagartig seinen Genussfaktor. Morgen würde ich zwar trocken in die Arbeit gelangen, aber es könnte durchaus frostig werden. Im hohen Norden lauert bereits polare Kaltluft und wartet auf ihre Einreiseerlaubnis nach Norwegen. Aus heutiger Sicht würde sie diese am Mittwoch erhalten.

Angelockt vom herrlichen Duft in der Küche, der von Brot, klassisch österreichischem Hendl und Apfelstrudel herrührte, statteten uns einige Wespen einen Besuch ab. Zumindest beim norwegischen Wetterdienst konnte ich keine Informationen auftreiben, inwieweit dieses Ereignis in Oslo Mitte Oktober der Normalität entspricht.

Steffi und ich werden trotz des bevorstehenden Kälteeinbruchs am Sonntag an den Start der Bygdøymila gehen, weil Andi mit seiner Einwilligung, uns die Startgebühr über sein norwegisches Bankkonto vorzustrecken, jegliche Ausflüchte aus dem Weg geschafft hat. Da es morgens mittlerweile recht spät hell wird, wie die heutigen Sonnenauf- und -untergangszeiten beweisen, schätze ich mittlerweile den für 12 Uhr angesetzten Start.

Oslo: 7:47 und 18:19
Wien: 7:08 und 18:13



11.10. Arbeitssamer Samstag
Nach einem weckerlosen Ausschlafen schnürte ich meine Laufschuhe und zog den Sonntagslauf auf Bygdøy um einen Tag vor, um ihn bei Sonnenschein und in kurzem Gewand zu genießen. Morgen würde es vormittags erneut regnen. Damit sollte wohl die Niederschlagsbilanz vom September aufgebessert werden, die für die Wetterstation Oslo Blindern mit 42 l/m2 weniger als die Hälfte des klimatologischen Mittels betrug und dafür lediglich 5 Tage benötigte (Quelle: www.yr.no).

Bereits nach den ersten Metern stellte sich wegen der sichtbaren Atemluft und aufziehenden Bewölkung die Kleiderwahl als ziemlich gewagt heraus, was zahlreiche Begegnungen mit eingemummten Sportlern unterstrichen. Ironischerweise klarte nach meiner Rückkehr der Himmel für den Rest des Tages auf.

Als sich nachmittags während des Verfassens lange zurückliegender Blog-Einträge eine Schreibblockade einstellte, tankte ich mit einem Buch und den Resten des gestrigen kakelunsj auf dem Balkon die wochentags schmerzlich vermisste Sonne. Dabei fand ich auf dem Holztisch sogar den verloren geglaubten Bleistift wieder.

Da Andi durch rapide gestiegene, fast schon unmenschliche Arbeitsanforderungen sogar den heutigen Samstag im Büro verbrachte, wollte ich ihn mit einem ausgezogenen Apfelstrudel überraschen. Der dritte Versuch glückte im rosinenreichen (für mich) und rosinenlosen (für Andi) Doppelpack nahezu ohne Löcher und enthielt neben den vor Wochen eingefrorenen, von Andi geriebenen Äpfeln auch frische, gehachelte und einige Schöpfer Apfelmus.



Freitag, 10. Oktober 2014
10.10. Kakelunsj
Indem ich die Reine vollständig mit Frischhaltefolie umwickelte, in einen Plastiksack steckte und waagrecht in meinem Fahrradkorb einkeilte, schaffte ich es, die drei Apfelstrudel abgesehen von den bereits bestehenden Löchern unversehrt und trocken ins SINTEF zu kutschieren. Für mich leisteten dagegen Poncho, Warnweste und Laufhose erneut ihre nützlichen, wenn auch Aufsehen erregenden Dienste.

Nach der mit Lisa und Stine am „Raumschiff” gestarteten Elution von DNA aus den über Nacht lysierten Polypen-Biopsien begab ich mich zu einer Besprechung ins Rikshospitalet. Auf dem Rückweg begegneten mir meine Molpat-Kollegen, die gerade zum Mittagessen in die Kantine aufbrachen, sodass ich mich ihnen kurzerhand anschloss. Dag begründete das im Vergleich zu den anderen kakelunsj-Teilnehmern vorgezogene matpakke mit der begrenzten Verfügbarkeit von Kuchen, die wir durch Zeitverschwendung mit dem Mittagessen vor Ort nicht zu unserem Nachteil werden lassen wollten. Beim für 12 Uhr angesetzten kakelunsj im Rikshospitalet füllte sich der møterom rasch mit Ärzten, Technikern, Sekretärinnen, BMAs und Pathologie-Assistenten, die Per Arne halb Englisch stichelnd „pat-ass” nannte. Neben den selbst gebackenen Kuchen und einer optisch bestechenden, gekauften Beerenbiskuittorte mit Marzipanglasur wurde auch eine Schatztruhe mit den Losen für die Weinlotterie herumgereicht. Mit vier Stück kaufte ich mich für 20 NOK ein. Obwohl ich als Glücksengerl die von Dag moderierte Ziehung eröffnen durfte, gewann leider niemand von der Molpat eine der drei Flaschen Rotwein. Stattdessen freuten sich eine Sekretärin der Makropathologie, ein Kollege der Immunhistochemie und eine mir unbekannte Mitarbeiterin über ihr Losglück.

Weinlotterie

Weingewinner

Aus dem kakelunsj zog ich die Lehren, dass die meisten Norweger Apfelstrudel mit Rosinen bevorzugen, dass Milka-Schokolade nicht nur für die Halbtirolerin Ingun Wiedererkennungswert hat, dass ich den kvæfjordkake alias verdens beste (= der Weltbeste), einen Mandelkuchen mit Vanillecreme, definitiv nachbacken werde und dass jeder dritte Freitag eher zu selten als zu oft für so eine außergewöhnliche, in jeder Hinsicht bereichernde Mittagspause ist. Nach einer Stunde Großzügigkeit landeten die Reste vom kakelunsj in unserer Kaffeeküche in der Molpat, wo sie nicht recht alt werden würden.

Lisa und Stine beim kakelunsj

Molpat-Gruppe beim kakelunsj

Lars Erik, Frazier, Lena, Kari, Ingun, Ranjan, Iselin, Alma

Nachmittags bestimmte ich in Kooperation mit Lisa die DNA-Konzentrationen von „Jon's polyps”. Da nach getaner Arbeit meine beiden Büros, also Per Arnes zweiter Sessel an seinem Schreibtisch und der møterom, besetzt waren, benutzte ich auf Jons Geheiß den Computer des organisatorischen Abteilungsleiters, um meine fertig aufbereiteten Ergebnisse auszudrucken. Per Arne zeigte sich damit sehr zufrieden und optimistisch für den künftigen Verlauf des Forschungsprojekts, wobei er mich indirekt sogar zu einem weiterführenden Master- oder PhD-Studium ans Rikshospitalet einlud. Am 21.11. soll ich gemeinsam mit Jon in einer Besprechung mit den Leitern aller Forschungsgruppen meine Ergebnisse präsentieren.

Mit einem der vermutlich letzten Läufe in kurzem Gewand startete ich in das Wochenende. Ein Blick auf die Sonnenauf- und -untergangszeiten offenbart, dass es nun in Oslo sehr bald auch am Abend früher finster sein wird als in Wien:

Oslo: 7:42 und 18:24
Wien: 7:05 und 18:17



Donnerstag, 9. Oktober 2014
9.10. Donnerwetter
Die Lehren aus den bisherigen niederschlagsreichen Tagen ziehend, begab ich mich ganz in norwegischem Stil mit einer langen Lauflegging außer Haus. Über Jacke und Rucksack schmückte ich mich mit dem Werbe-Poncho und der Warnweste. In diesem Aufzug bemerkte ich beim Tausch des Rücklichtes, dass es nicht abgenommen, sondern abgebrochen (worden) war. Vielleicht sollte ich mein vorschnelles Urteil über den Diebstahl revidieren und mein eigenes Verschulden bei meinen wilden Ritten in der Vergangenheit nicht länger ausschließen. Obwohl ich die tiefen Lacken weitgehend umschiffte, gelangte über den sinnentleerten Kotflügel einiges an feuchtem Kehricht an die Unterseite meines Rucksacks. Vermutlich hätte ich in Österreich bereits am Dienstag entnervt das Handtuch geworfen. In Oslo aber ließ ich mich von den wetterfesten Einheimischen dazu mitreißen, eine weitere Woche ohne öffentliche Verkehrsmittel auszukommen.

Als Belohnung für meine tüchtigen Fortschritte im Projekt spendierte mir Per Arne wie einem abgerichteten Laboräffchen eine überreife Banane. Da sich meine Nicht-Wegwerf-Mentalität angesichts der hohen Lebensmittelpreise noch verschärft hatte, nahm ich das Geschenk dankbar für die Abwechslung zu den Äpfeln des Rikshospitalet an.

Nachmittags leisteten Lisa und Stine Jon und mir zu einer weiteren Runde kollektiver Polypen-Homogenisierung („chopping polyps”) Gesellschaft. Diesmal stand Stine vor einer Blutuntersuchung, weil sie sich in der Makropathologie geschnitten hatte. Während für die beiden Pathologie-Assistentinnen der Umgang mit dem Skalpell langweilige Routine darstellte, empfand ich diese handwerkliche Tätigkeit als willkommene Abwechslung zu meiner Datenarchivierung und Dokumentation.

Dankenswerterweise erhielt ich vom Veranstalter der Bygdøymila per E-Mail nähere Informationen, die ich Steffi weiterleiten konnte. Bei Voranmeldung belief sich das Nenngeld auf 250 NOK (ca. 32 €), bei Nachnennung auf satte 400 NOK. Als Andenken würden die zu erwartenden mehr als 500 Teilnehmer eine Haube bekommen. Für eine Voranmeldung war jedoch ein norwegisches Bankkonto Voraussetzung. Der Veranstalter schlug mir vor, einen Freund von mir um das Begleichen der ausgestellten Rechnung zu bitten und ihm dafür Bargeld auszuhändigen. Mit Andi und meinen Arbeitskollegen gäbe es dafür einige Optionen.

Motiviert von dem bevorstehenden Bewerb drehte ich eine Runde an der Akerselva. Als sich eine tiefschwarze Cumulus-Wolke vor die wärmende Sonne schob, schwante mir bereits Böses. Nach einigen Minuten Gnadenfrist ging ein gewaltiger Regenguss nieder, der sprunghaft an Intensität zunahm. Während zuerst noch gleich gesinnt lächelnde Läufer meine Bahn kreuzten, nahm ich allmählich immer mehr zusammengekniffene Augen und auf rutschiges Laub und undurchsichtige Lacken fokussierte Blicke wahr. Nach diesem kleinen Belastungstest für meinen Positivismus entschädigten mich ein Regenbogen und eine angenehm warme Dusche für die erfahrene Durchnässung.

Angesichts des morgigen kakelunsj verbrachte ich die nächsten 4 Stunden in der Küche. Leider hatte Andi eine sehr arbeitsintensive Woche mit zahlreichen, unausweichlichen Überstunden, sodass ich auf seine Hilfe beim Schälen und Entkernen verzichten musste. Nachdem ich geschätzte 5 kg Äpfel zu Apfelstrudel und Mus verarbeitet hatte, konnte ich auf einen gelungenen zweiten Versuch der Umsetzung von Mamas Rezept zurückblicken. Um das binäre Problem der Rosinen – entweder werden sie verabscheut oder heiß geliebt – zu umgehen und Stines Allergie auf Nüsse zu berücksichtigen, bestückte ich Roberts Retro-Reine mit drei unterschiedlichen Apfelstrudel-Varianten. Die Maus für Stine (Eintrag vom 4.10.) war sogar größer geraten als geplant.

3 verschiedene Apfelstrudel

Zum Schlafengehen erlebten wir ein nicht enden wollendes Gewitter mit Blitz und Donner. Vermutlich ließ uns Thor seinen Zorn spüren, da Andi zuvor seine Portion Shrimps-Spaghetti über den Wohnzimmertisch verteilt hatte.



8.10. Verlustreiche Geduldsproben
Als ich mich vor der Abzweigung nach Sogn bereits in Sicherheit vor dem Regen währte, öffnete der Himmel für die letzten 10 Minuten meiner Fahrradfahrt seine Schleusen, sodass ich mit weithin hörbaren, quietschenden Schuhen die Gänge in der Molpat flutete.

Gezwungenermaßen fügte ich mich dem laborüblichen Aufbereiten der Daten in Excel-Tabellen und verbrachte den gesamten Arbeitstag damit, meine LOH-Analysen zu interpretieren und in ein herzeigbares Dokument auszulagern. Während der Mittagspause klärte Ingun mich über den näheren Ablauf des kakelunsj am Freitag auf. Neben matpakke und Kuchen stand eine Rotweinverlosung auf dem Programm, bei der ich mein Glück versuchen wollte.

Mit zwei sehr erfreulichen Neuigkeiten verließ ich heute das SINTEF. Einerseits werden Lisa und Stine auch an der Forschungstagung teilnehmen, wovon ich mir zwei amüsante und kurzweilige, fast schon denkwürdige Tage verspreche. Andererseits erhielt ich die frohe Botschaft, dass ein Musikerkollege in Zwettl zum dritten Mal Vater geworden war. Gratulerer med babyen, Michi!

Weniger rosig verlief hingegen mein anschließender Ausflug in das Stadtzentrum. Dass ich immer noch ohne Rücklicht unterwegs war, bereute ich spätestens bei der Einfahrt in einen Tunnel, die für Radfahrer nicht dezidiert verboten war. Eingeschüchtert von dem Höllenlärm durch die Belüftungssysteme zuckte ich bei jedem vorbeifahrenden Kraftfahrzeug zusammen und fuhr fast schon in Schräglage an der Wand entlang. Für einen weiten, oberirdischen Bogen um den zweiten Tunnel nahm ich sogar den provokanten Regenschauer in Kauf. Dank der XL-Warnweste eines österreichischen Pannendienstes erreichte ich schließlich unfallfrei das Einkaufszentrum.

Bei Clas Ohlson, einem günstigen Baumarkt, besorgte ich zufällig das gleiche Beleuchtungs-Set, das bereits zuvor auf meinem Leihrad von Gordon montiert worden war. An der Kassa bemerkte ich verärgert den Verlust eines Handschuhs. Als ich lautlos milde schimpfend das Einkaufszentrum verließ, entdeckte ich, am Staubfänger der Drehtür hängen geblieben, meinen leicht ergrauten Handschuh. Die Freude währte jedoch nur kurz, da ich wenig später geschlagene 15 Minuten am Fahrradschloss drehte, rüttelte und riss, zog und zerrte, bis es endlich die Gnade hatte, aufzuspringen. Seit geraumer Zeit kämpften Andi und ich mit diesen billigen Fahrradschlössern von Clas Ohlsson, deren mittlere Aufsperrzeit tendenziell steigt, während die Einzelereignisse immer stärker streuen.

Als zu Hause mein dritter mitgebrachter Bleistift, sofern er diesen Namen ob seiner Winzigkeit verdient, unauffindbar war, schob ich nach einem beschwörenden Blick auf den Kalender alle Missgeschicke des Tages auf den Vollmond und hatte in ihm einen genügsamen Sündenbock gefunden.



7.10. Rätselhafte Entfesselung eines Drahtesels
Beim Verlassen des Hauses wunderte ich mich über mein Rad, das zwar mit versperrtem Schloss in der Wiese stand, aber nicht am Geländer angekettet war. Wie sich später herausstellte, hatte Andi es vor der Arbeit aufgestellt, und ich beim Absperren am Vorabend trotz der Tetris-Melodie zur Förderung des räumlichen Vorstellungsvermögens eine falsche Schlinge gezogen.

Trocken, aber ziemlich unausgeschlafen erreichte ich das SINTEF und kontrollierte daher jeden Arbeitsschritt dreifach vor seiner Ausführung, da ich Konzentrationsfehler befürchtete. Erstaunlicherweise ging weder bei der spektralphotometrischen Konzentrationsmessung noch bei der LOH-Analyse der colorectalen Proben nachweislich etwas schief. Parallel dazu setzte ich mit der qualitativ hochwertigen DNA aus den 80er-Jahren eine Reihe an Versuchen an, um der ausbleibenden Amplifikation eines dafür berüchtigten Markers auf den Grund zu gehen. Ingun führte mich in die Herstellung von Primer-Mischungen ein, was im zweiten Abschnitt meiner Forschungen mein tägliches Brot sein wird. Den Auftrag, ein neues LOH-Paket für Chromosom 3, 4 und 10 zu entwickeln, werde ich nur mit empirischen Austestungen verschiedener Mischungsverhältnisse und Zusammensetzungen erfüllen können.

Gestern hatte ich einen Brief vom Tax Office erhalten, der rücksichtsvollerweise auf Norwegisch verfasst war. Immerhin konnte ich dem ersten Satz sinngemäß entnehmen, dass der Inhalt nicht für den Arbeitgeber bestimmt war. Deshalb konsultierte ich eine Übersetzungshilfe im Internet und fand trotz der abenteuerlichen Satzkonstruktionen heraus, dass es sich um eine Steuerabschätzung basierend auf meinen Gehaltsangaben handelte. Zu Hause wartete bereits der zweite Brief auf mich, der neben meiner temporären ID-Nummer praktischerweise eine englische Erläuterung enthielt.

Bei der Recherche von Laufbewerben in Oslo war ich nicht nur auf die Bygdøymila aufmerksam geworden, sondern hatte auch den Nøklevannrundt am 11.10. gefunden. Der 9 km lange Kurs um den See in der Nähe der abgeholten Küchenwaage (Eintrag vom 26.9.) hätte mich zwar angesprochen, das Startgeld bei Voranmeldung war mir aber mit 350 NOK (ca. 44 €) für diese kurze Distanz entschieden zu hoch.

Außerdem bestanden gewisse Unsicherheiten, wie lange uns das hartnäckige Tief, dessen Ausläufer während seiner Rotation bis weit in den Norden ausgriffen, noch in der Mangel haben würde. Jedenfalls waren für die nächsten Stunden und Tage gewaltige Niederschlagsmengen vorhergesagt, sodass ich weiterhin auf die zumindest aus hygienischen Gründen nicht erforderliche Laborkleidung zurückgreifen würde.

Wetterkarte vom 7.10.2014 von wetter3
Quelle: www.wetter3.de/Archiv/. Aufgerufen am 09.10.2014.



6.10. Und sie trinken doch
Nachdem ich tatsächlich das erste Mal nass im SINTEF eingetroffen und dankbar in die seit meinem Abteilungswechsel unbenützte Laborkleidung geschlüpft war, stellte ich mehrere Verdünnungen der DNA-Eluate von colorectalen Carcinomen her und erfasste deren Konzentrationen. Erfreulicherweise stimmten die Relationen überein. Unaufgefordert hatte Dag mir ein eigenes Programm für den Pipettierroboter erstellt, das er sogar nach mir benannt hatte. Damit konnte ich meinen Ansatz für die genomische PCR einfach durch Anwählen des grünen Pfeils zusammenmischen lassen, vorausgesetzt die Reagenzien, PCR-Platten und Pipettenspitzen standen an ihrem richtigen Platz. Mit dem Ergebnis, dass eine Verdünnung im Verhältnis 1:2 am besten geeignet ist, Inhibitoren zu unterdrücken und gleichzeitig möglichst viel DNA im Ansatz zu behalten, konnte ich Per Arnes Weltbild nicht erschüttern. Er hatte mir bereits am Freitag vorgeschlagen, mit diesen Verdünnungen die LOH-Analysen durchzuführen.

Beim gemeinschaftlichen matpakke im møterom konnte ich der auf Norwegisch geführten Debatte über den für Freitag angesetzten kakelunsj so weit folgen, dass ich auf Englisch anbot, einen österreichischen Apfelstrudel zu backen. Alle drei Wochen verbindet die Abteilung für Pathologie das Angenehme mit dem Nützlichen, indem abwechselnd eine andere Forschungsgruppe für Kuchen nach einer gemeinsamen Mittagspause im großen Konferenzzimmer der Makropathologie sorgt. Dabei steht selbstverständlich der Austausch über die aktuelle Forschung im Vordergrund. Am kommenden Freitag würde die Molpat-Gruppe insgesamt 5 Kuchen für alle Ärzte, Assistenten, Techniker und BMAs mitbringen.

Jon, der von Per Arne betreute, schlaksige PhD-Student, berichtete mir mit der Begeisterung eingeschlafener Füße von der Vergabe des Medizin-Nobelpreises an zwei verheiratete Neurowissenschafter des NTNU Trondheim (und einen US-Amerikaner), bei denen er während seiner Studienzeit sogar einige Vorlesungen gehört hatte. Da diese Meldung den Nationalstolz jedes Norwegers hervorkehren muss, kann es nur an Jons beinahe apathischer Art liegen, dass er seinen Enthusiasmus derart geschickt verbergen konnte.

Am Nachmittag eröffnete mir Per Arne die überwältigende Möglichkeit, an einer Forschungstagung teilzunehmen. Da ich ohne Umschweife zusagte, händigte er mir sofort das Programm aus. Am 31.10. und 1.11. werden in einem Hotel in der Nähe des Osloer Flughafens Vorträge über Krebsforschung, Onkologie, Entzündungsprozesse, genomische Pathologie, Nano-Strings, In-situ-Hybridisierung, Massenspektrometrie, digitale Techniken und einige organisatorische Aspekte abgehalten. Dazwischen gibt es gemeinsame Kaffeepausen und sogenannte Poster-Sessions, bei denen über die auf Pinnwänden illustrierten Inhalte angeregt diskutiert werden soll. Am Freitag Abend werden wir zu einem noblen Dinner im Norwegian Armed Forces Aircraft Museum eingeladen. Einige Mitarbeiter des Rikshospitalet werden als Referenten vertreten sein, andere, z.B. Jon und ich, als verantwortungslose Teilnehmer.

Auf der abendlichen, vom Dirigenten vollständig auf Norwegisch abgehaltenen Probe erlebte ich das vertraute Phänomen, dass die Konzertstücke seit Anfang September noch nicht bedeutend weitergereift waren. Obwohl dieser Musikverein erstaunlich gute Blattlesekompetenzen vorweisen kann, scheiterten wir kollektiv an dem „molto accelerando” in der Tetris-Melodie. Korobeiniki (Коробейники – die Hausierer) hat als russisches Volkslied einen mitreißenden Tanzcharakter, der möglicherweise auch das räumliche Vorstellungsvermögen beim Puzzeln anregt.

An der Turnsaalwand aufgehängte Fotos eines Schulausflugs in die Freia-Fabrik regten jedenfalls meine Neugier an, dieser Schokoladen-Hochburg mit Andi, Gordon und Anna II einen Besuch abzustatten. Da es sich heute um den ersten Montag im Oktober handelte, wurde das gemeinsame Fortgehen quasi vom Dirigenten angeordnet. Als Stammlokal der Musiker stellte sich tatsächlich jene Tapas-Bar heraus, die ich bereits mit Michi erfolgreich auf ihre Gemütlichkeit geprüft hatte.

Musiker-Stammlokal in der Sofienberggata

Da den Musikern ein Spezialpreis von 55–NOK (ca. 7–€) statt 68–NOK (ca. 8,5–€) für eine Halbe Ringnes gewährt wird, wird der Abend trotz des nächsten Arbeitstages gelegentlich ausgedehnt. Den zuvor verkündeten Konsens, nach einem Bier nach Hause zu gehen, warfen außer mir alle über den Haufen, sodass ich vor den Feierlichkeiten nach dem Konzert am 25.10. bereits einigen Respekt habe. Neben den humorvollen Kollegen Siri, die ich vorige Woche im Bleistiftduell besiegt hatte, und Hans schmeckte mir sogar das gewöhnungsbedürftige Bier.

Pub-Runde am ersten Montag im Oktober

Als mir vor dem ca. 200 Meter langen Heimweg das Rad wegen seines mit der Oboe ungleich belasteten Fahrradkorbs umfiel, dämmerte mir, dass ich mich über die norwegische Gesetzeslage zu alkoholisiertem Radfahren informieren sollte. Beim anschließenden Blick aus dem Küchenfenster bemerkte ich, dass der brausende Sturm offensichtlich mein an das Geländer gekettete Rad – auf den Weg zum Fahrradkäfig verzichte ich nach der Probe immer – umgeweht hatte. Da mich der Verlust seiner potentiellen Energie eher beruhigte als aufwühlte, fiel ich kurz vor Mitternacht schließlich in einen bleiernen Schlaf.



5.10. Ein norwegischer Sonntag
Bei meinem bereits zur Tradition gewordenen Sonntagslauf nach Bygdøy entdeckte ich nicht nur die wunderschöne Strandpromenade, sondern auch einige Transparente mit der Ankündigung der Bygdøymila, einem Laufbewerb über eine norwegische Meile, also 10 km, der am 19.10. stattfinden würde. Da ich an besagtem Wochenende als dritte Besucherin Steffi in Empfang nehmen würde, wollte ich ihr dieses Ereignis als Programmpunkt für ihren Aufenthalt schmackhaft machen, um uneigennützigerweise selbst daran teilnehmen zu können.

Heute setzte ich außerdem ein schon länger gehegtes Vorhaben in die Tat um, indem ich zur 11-Uhr-Messe in der Domkirke radelte. Beim Eingang wurden mir ein Gotteslob und ein Programmheft für die Høymesse (= Hochamt) auf Norwegisch überreicht, was wohl den touristischen Anspruch erfüllen soll. Unter den wenigen Messbesuchern fanden sich nach meiner Einschätzung tatsächlich kaum Einheimische. Außerdem waren die Bänke nur am Rand besetzt. Vor der Messe verkündete der Chorleiter in einem weißen Überkleid einige Neuerungen, wobei ich sinngemäß verstand, dass ein neues Gotteslob verwendet würde und man trotzdem kräftig mitsingen sollte. Pfarrer, Mesnerin, Ministranten und der gesamte Kirchenchor zogen durch das Hauptportal ein, während sich das Volk ihnen stehend zuwandte. Da im Programmheft sogar die Lesungen abgedruckt waren, konnte ich die ungewöhnliche Aussprache mancher Wörter mit dem Textbild verknüpfen. Trotz sprachlicher Unsicherheiten erlaubte ich mir, aus vollem Hals mitzusingen, was mir bei „Halleluja” und „Amen” besonders unauffällig gelang.

Messe in der Domkirke

Von der Predigt des Pfarrers, dessen vermeintlich nassen Haare während der ganzen Messe nicht trockener wurden, verstand ich immerhin, dass er ausdrücklich auf die Deckenfresken hinwies. Dies unterstrich er von der Kanzel aus mit ausladenden Gesten und der sangbaren norwegischen Sprachmelodie. Nach dem Agnus Dei (= Guds Lam) und dem Friedensgruß (= Fredshilsen bzw. „Guds fred”) empfing ich die laut Programmheft glutenfreie Kommunion (= Utdeling). Ungewohnt waren für mich die Eucharistiefeier, die der Pfarrer mit dem Rücken zur Gemeinde zelebrierte, sowie der 3x3-Glockenschlag zum Auszug. Beeindruckt von dieser Messe werde ich während meines Aufenthalts bestimmt noch weitere Gelegenheiten dazu wahrnehmen und auch andere Kirchen aufsuchen.

Kanzel der Domkirke

Altar in der Domkirke

Orgel in der Domkirke

Während Andi mit Gordon und Anna II eine Fahrradtour unternahm, bereitete ich nach einem Rezept auf der Verpackung des Lammfleisches meinen ersten fårikål zu. Nachdem ich ein paar Vokabel nachgeschlagen hatte, kochte ich das Nationalgericht mit einigen Abänderungen nach. Statt mich nur auf Salz und Pfeffer zu beschränken, fügte ich darüber hinaus Koriander, Knoblauchzehen und Kümmel zu. Die vorgeschriebene mehrstöckige Schichtung von schiffchenförmigen (= båt-formet) Kraut-Achteln über Lammfleischstücken befolgte ich ebenso wie die zweistündige Garzeit, in der das Kraut zwar tot gekocht, das Fleisch aber aromatisch zart wurde. Schließlich duftete und schmeckte das Gericht mindestens so gut wie, wenn nicht sogar besser als, der fårikål aus der Kantine (Eintrag vom 25.9.).

Selbstgemachter fårikål

Um den für morgen prognostizierten Regen bereits während der Morgentoilette in aller Deutlichkeit wahrzunehmen, putzte ich anschließend unter Ausschöpfung meiner Möglichkeiten die Fenster. Da sie weder gekippt noch sperrangelweit geöffnet werden können, hinterließ ich außen trotz aller Bemühungen, meinen Arm durch den schmalen Spalt in der Mitte bis zum Fensterrahmen auszustrecken, gezwungenermaßen an den oberen Ecken einen putzfreien Radius, der dem eines Autoscheibenwischers glich.

Per Arnes Vorhersage, dass ich in der kommenden Woche um die T-banen (= U-Bahn) nicht herumkommen würde, betrachtete ich dennoch als Herausforderung. Während mangels Nebels der Herbst in Oslo weiterhin in vollem Glanz erstrahlte, kramte ich aus den Untiefen meines Gepäcks vorsorglich den mit Werbeaufdrucken eines österreichischen Radiosenders imprägnierten Regenponcho und die XL-Warnweste eines österreichischen Pannendienstes hervor.

Goldener Herbst

Nun zu den Meldungen der Sonnenauf- und -untergangszeiten:

Oslo: 7:30 und 18:39
Wien: 6:58 und 18:27



4.10. Der Berg kreißte und gebar eine Maus
Nachdem ich einer vermeintlichen Geschirrspülmittel-Aktion eines mäßig teuren Supermarkts doch nicht auf den Leim gegangen war, versuchte ich erneut, die Teller von Troels abzuholen. Inzwischen hatte er mir neben seiner Handynummer auch verraten, dass der Eingang die Nummer 38 hat, sodass ich zuversichtlich war, mein Ziel zu erreichen.

Auf dem Weg dorthin saugte ich jedoch noch die herrliche Farbenpracht der Laubbäume im Tøyenpark auf, bevor uns die niederschlagsreiche Kaltfront zu Wochenbeginn erreichen würde.

Tøyenparken

Herbst in Sofienberg

Zweifarbiger Laubbaum

Troels beschrieb mir über die Gegensprechanlage den Weg durch den Hof zum Eingang 3C, den ich auf eigene Faust niemals gefunden hätte. Während er seiner schwangeren Frau beim Kochen half, ließ er mich aus einer Lade mit ausrangiertem, inzwischen von Hochzeitsgeschenken abgelöstem Geschirr meine Auswahl treffen. Er hatte sogar Kartons und Säcke vorbereitet, damit ich meinen steuerfreien Einkauf unbeschadet nach Hause transportieren konnte. Seitdem finden sich in Andis Küche Suppen- und Dessertteller sowie etliche Schüsseln, womit ich die Aufrüstung für abgeschlossen erkläre. Obwohl – ein Kochlöffel wäre schon noch praktisch. ;)

Geschirrkauf via FINN

An diesem Abend wagte ich mich erstmals an das von meiner Mama für schwierig befundene Rezept des ausgezogenen Apfelstrudels. Mengenangaben wie „eine Schüssel Mehl” und „etwas Öl” zeugten von ihrer langjährigen Erfahrung und dem dabei erlangten Gespür, das Küchenwaage und Messbecher zu ersetzen vermochte. Das Zitat „den Teig rasten lassen, während die Äpfel geschält und gehachelt werden” lässt nur die Interpretation zu, dass für das Gelingen der Einsatz von Küchengehilfen unbedingt erforderlich ist. Da Andi dieser Betätigung leidenschaftlich frönt, hatte ich dabei nicht einmal ein schlechtes Gewissen. Die erste Teigportion glitt mehr recht als schlecht über mein Handgelenk und riss dabei einige Löcher auf, die ich nach nicht enden wollenden Versuchen müde wurde zu stopfen. In abgestimmter Kooperation verfrachteten wir den fertigen Strudel in die Reine aus Røa (Eintrag vom 28.9.) und ich nahm den zweiten Teigling in Angriff. Dieser zog sich rasend schnell in die Länge, sodass die Breite nicht annähernd die Dimension des bemehlten Geschirrtuches erreichte. Andis Vorschlag eines Neustarts durch die Rücktransformation des ausgezogenen Teigs in eine Kugel klang in meinen Ohren sehr vernünftig, weshalb ich ihn umsetzte. Doch es stellte sich heraus, dass dieser Strudelteig eine Einbahnstraße darstellt. Einmal ausgezogen und wieder zusammengeballt verliert er erbarmungslos all seine Elastizität. Gemäß dem in Andis Küche seit meiner Anwesenheit oft zitierten Ausspruch, dass gegessen wird, was auf den Tisch kommt, füllten wir diesen bockigen Teig zu einem wulstigen Strudel und lehrten ihn bei 180°C im Rohr das Fürchten. Das Ergebnis erinnerte mich an den Lateinunterricht im Gymnasium – „Der Berg kreißte und gebar eine Maus.”

Gezogener Apfelstrudel



2.10. Geplatzter Deal
Tatsächlich funktionierte die LOH-Analyse auch für die niedrig konzentrierten Verdünnungsstufen, was Per Arne natürlich nicht verwunderte, für mich aber mit dem Erreichen eines weiteren Lernzieles gleichzusetzen war. Nun sollte ich dieselbe Prozedur mit neuen, qualitativ weniger hochwertigen Proben durchführen. Dabei handelte es sich um je zwei DNA-Eluate aus normalem bzw. von Tumorzellen befallenem Gewebe (N und T) von 10 Patienten mit colorectalen Carcinomen. Dieses war aus Paraffinblöcken gewonnen worden und hatte durch die vorangegangene Formalineinbettung mehr oder weniger stark an Qualität eingebüßt.

Da ich im Eifer des Gefechts beim Ansetzen der genomischen PCR auf die Zeit vergaß und das Antreten zur gemeinschaftlichen Mittagspause verpasste, war ich mit einem Schlag völlig auf mich allein gestellt. Ohnehin schon ein wenig vom Pech verfolgt, konnte ich mich nicht mehr an das korrekte Programm erinnern und verbrachte einige verzweifelte Minuten mit der Suche nach norwegischen Arbeitsanleitungen und anderen minder aussagekräftigen Anhaltspunkten. Schließlich konnte ich eine in ihrem Büro gebliebene, mit einem Projekt überlastete Kollegin kurz unterbrechen und dank ihrer aufopfernden Hilfe doch noch die richtige Analyse starten.

Als ich Taekwondo-Meister Dag später um Unterstützung beim Auswerten der genomischen PCR bat, war seine erste entlarvende Frage, ob ich die Platte etwa mit Folie zentrifugiert hätte, weil das Amplifikationssignal so „wackelig” war. Tatsächlich war mir dieser Fehler unterlaufen, sodass ich beschloss, dieses an mehreren Stellen missglückte Experiment abzuhaken und morgen eine Wiederholung zu starten.

Nachmittags fand ich eine willkommene Zerstreuung, indem Jon und ich Besuch von der Pathologie-Assistentin Lisa erhielten, die uns in die elitäre Kunst des Zerhackens von frischen Darmpolypen-Biopsien („chopping polyps”) einweihte. Mit gewohnt schwarzem Humor und bewaffnet mit scharfen Skalpellen homogenisierten wir die Proben und setzten ihnen Puffer und Proteinase zu, damit sie über Nacht verdaut würden und wir ihre DNA eluieren könnten.

Abends nahm ich als vorläufig letzten Gebrauchtwarenkauf eine Tellerabholung in der Nachbarschaft in Angriff. Als Tourist getarnt hielt ich die täglich im Sofienbergpark grillenden Familien fest, was dem Lenker eines weißen Kleinbusses nicht behagte, woraufhin ich mit einem Unschuldsblick von dannen rollte. Mir waren beim Vorbeilaufen bereits einige Male geschäftstüchtige Gestalten aufgefallen, die am helllichten Tag Scheine gegen in der Faust verborgene, kostbare Ware tauschten.

Grillen im Sofienbergparken

Troels Teller waren an einer Adresse mit der Nummer 3C abholbereit. Als ich eben diesen Platz absuchte und neben der Nummer 2 anläutete, erhielt ich die Auskunft, dass sich der Eingang zur Nummer 3C in der Straße um die Ecke befände. Dort konnte ich jedoch weder ein Türschild mit Troels Namen noch eine Hausnummer 3C finden. Obwohl die beiden Verkäuferinnen des Olivengeschäfts an der Ecke mit Hausnummer 3 äußerst hilfsbereit und bemüht waren, mit mir gemeinsam dem Rätsel auf die Spur zu kommen, trat ich nach einer Runde um den ganzen Häuserblock ohne Teller die Heimfahrt an. Recht spät wollte ich es nicht werden lassen, da ich noch keine Zeit gehabt hatte, mir ein neues Rücklicht für mein Fahrrad zu besorgen.



29.9. Wunden und Krebs
Bei meiner Fahrt ins Labor machte sich Andis Bremsenreparatur mehrmals bezahlt. Inspiriert von Gordons unkonventionellem Fahrstil und seiner Ignoranz gegenüber roten Ampeln forderte ich einige Beinahe-Unfälle heraus, die mir eine Lehre sein sollten. Auf einer Nebenstraße legte ich für einen ansehnlichen Apfel eine Vollbremsung hin und bettete ihn sachte in meinem Fahrradkorb.

Putzmunter widmete ich mich anschließend meinem Forschungsprojekt. Zunächst prüfte ich die Qualität der DNA-Verdünnungen mit einer genomischen PCR, wobei mich dankenswerterweise der technikaffine, Taekwondo-kämpfende Dag bei der Bedienung des Pipettierroboters unterstützte. Er stellte meinen Ergebnissen ein hervorragendes Zeugnis aus, sodass ich sofort die LOH-Analysen meiner Proben anschließen konnte. Dazu erhielt ich von Ingun, die in diesem Bereich mit fachlicher Expertise brilliert, wertvolle Tipps für die Praxis und einen lehrreichen Einblick in den theoretischen Hintergrund. Aufgrund der fortgeschrittenen, wie im Flug vergangenen Zeit verschob ich die mit Spannung erwartete, kapillarelektrophoretische Auswertung der PCR auf den nächsten Tag.

Durch die aufreibende Kombination von Desinfektionsmitteln und Gummihandschuhen waren meine Brandblasen vom Vortag undicht geworden und würden als lange währendes Mahnmal dienen. Deshalb ließ ich im Umgang mit dem ersten selbstgemachten fiskegrateng, dessen Rezept ich von meinem Besuch bei Valerie und Georg aus Bergen importiert hatte (Eintrag vom 19.8.), besondere Vorsicht walten. Dennoch schlichen sich durch meine Recherche für die Bachelorarbeit Erkenntnisse auf dem Gebiet der Krebsforschung in meine Gedanken, dass Tumore als nicht heilende Wunden beschrieben und im entzündlichen Milieu leichter initiiert oder in die Progression getrieben werden können.

Als ich mein für lächerliche 2 Stunden am Geländer vor der Haustür angekettetes Rad für die abendliche Probe sattelte, stellte ich entsetzt den Verlust bzw. Diebstahl des Hinterlichts fest. Dadurch wurde mein blindes Vertrauen in die Norweger ein wenig erschüttert.

Bei der Probe waren erneut die Holz- und Blechbläserfraktion voneinander getrennt, wobei wir im Keller mit einer resoluten Dirigentin unter anderem ein norwegisches Wiegenlied mit dem Titel „Bæ, bæ lille lam” probten, bevor wir uns eine Jazz-Version des Gospels „Just a Closer Walk with Thee” zu Gemüte führten. Das Lied vom kleinen Lamm erinnerte mich an „Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann”, lässt sich aber aufgrund seiner einfachen Akkordfolge und Melodie bestimmt mit unzähligen anderen Liedern vergleichen. Als mich die Dirigentin direkt ansprach und sinngemäß die ausgewogene Klangbalance durch das neue Instrument lobte, büßte ich meine mangelnden Sprachkenntnisse nicht lange, da sich herausstellte, dass sie über mittelmäßige Deutschkenntnisse verfügte. Daraufhin leitete sie die Probe zu ihrem Vergnügen mehr auf Deutsch als auf Norwegisch, sodass ausgerechnet ich meinen planlosen Registerkollegen mit Übersetzungen ins Norwegische behilflich war, z.B. „von Beginn” = „fra starten”. Eine mir bis dahin unbekannte Klarinettistin, die der Probe mit Sonnenbrillen und einem erfrischend alternativen Kleidungsstil beiwohnte, wurde ein wenig belächelt, als sie ihren Bleistiftwinzling aus der Tasche zog. Siegessicher stellte ich mein Stummelchen daneben und stach ihr Schreibgerät um knappe 2 mm aus. In der Pause brachte ich in Erfahrung, dass beim Konzert am 25.10. nur 4 Stücke auf dem Programm stünden: „Super Mario”, „World of Warcraft”, „Video Games Live” und je ein Stück für Holz- bzw. Blechbläser. Trotzdem würde danach ausgelassen gefeiert werden, wobei diese Definition sicher an die norwegischen Alkoholpreise angepasst werden muss.



Sonntag, 5. Oktober 2014
21.9. Export
Den Sonntag verbrachte ich mit meiner Familie. Von Mama nahm ich einige aus dem Gedächtnis aufgeschriebene Rezepte in Empfang und fotografierte mir fast zur Gänze ein Koch- und zwei Backbücher sowie einige Seiten aus einem Schwammerlbestimmungsbuch ab, damit meine Selbstversorger-Karriere in Oslo ihren Lauf nehmen könnte.

Pfarrkochbuch
Quelle: Rezepte aus dem Pfarrhaushalt – leider hab ich keine genaueren Angaben parat, aber da man ohnehin nichts lesen kann, wird wohl niemand auf die Idee kommen, mich zu verklagen :)

Parallel dazu erhielt ich eine Einschulung im universell einsetzbaren ausgezogenen Strudelteig, was für meine künftigen Fallobst-Sammlungen nützlich sein würde. Mit Mohnzelten, Kranklmarmelade, Dinkelbrötchen, Apfelstrudel und allerlei Süßwaren im Gepäck pendelte ich abends wie zu gewöhnlichen FH-Zeiten nach Wien, wo ich die Exportvorbereitungen mit der Küchenwaage fortsetzte. Dadurch meisterte ich die logistische Herausforderung, den Koffer auf realitätsnahe geschätzte 23,5 kg mit Flüssigkeiten und problematisch im Handgepäck zu importierenden Waren aufzufüllen. Der Packungsinhalt bei geriebenen Nüssen bzw. Mohn scheint tatsächlich einer Normalverteilung zu folgen, wie einige Beispiele aus der Aufgabensammlung für die Mathe-Matura suggerierten.



Sonntag, 31. August 2014
28. & 29.8. Nachbereitung
Da dieser Blog in erster Linie als Dokumentation meiner Reiseerlebnisse und Besichtigungen gedacht ist, halte ich mich mit Schilderungen meines Alltags in Oslo nicht lange auf. Besondere Vorkommnisse werden aber auch in Zukunft hier nachzulesen sein.

Die ersten zwei Tage nach meiner Ankunft in Oslo hielten mich die Nachbereitungen auf Trab. Unzählige Fotos wollten aussortiert, Wäsche gewaschen, ein Großeinkauf getätigt und das Experiment Sauerteig-Roggenbrot gestartet werden, sodass mir die Tage fast zu kurz wurden.

sauerteig



Freitag, 29. August 2014
23.8. Internationale Küchenfestspiele
Das einladende Wetter verleitete uns zu einer Wanderung auf den dritten Hausberg, den Rundermanen mit einer Höhe von 568 m. Während an der Talstation der Fløibanen eine lange Schlange auf die Bergfahrt wartete, trugen uns unsere strammen Waden die Stufen und Serpentinen wie von selbst hinauf.

floibanen

Entlang eines Wasserfalls, der von einem fast schon über der lokalen Baumgrenze liegenden Trinkwasserspeicher gespeist wird, fanden wir einige Birkenpilze, bei deren Identifikation wir bereits als selbstbewusste Kenner auftraten. Knapp unterhalb des Gipfels machten wir eine Rast, von der uns die ersten Regentropfen aus der verlässlichen Bergener Wetterküche bald verjagten.

rundermanen

powergirls

Mit Regenschirm und / oder vermeintlich wasserdichter Kleidung wagten wir trotz der bedrohlichen Schwärze des Himmels den Gipfelsturm. Drei Meteorologen werden wohl wissen, was sie tun. Nach einem Abstieg zum Fløyen erreichten wir völlig durchnässt die Aussichtsplattform. Mit Fantasie konnte man den hinter dem Regenschleier verborgenen Ausblick erahnen.

Als wir zu Fuß an der Talstation ankamen, wärmten uns einige Sonnenstrahlen, da der Regen entweder durch die fortgeschrittene Zeit, die leeseitige Abtrocknung oder die schiere Unvorhersagbarkeit des Westküsten-Wetters nachgelassen hatte. Mit einem Abstecher beim Lepra-Museum konnte ich auch die letzte mir wichtige Sehenswürdigkeit Bergens abhaken. Zwischen 1850 und 1900 gab es in Bergen nicht nur drei Krankenhäuser für Lepra-Patienten, sondern auch europaweit die meisten Krankheitsfälle pro Einwohnerzahl. Laut meinem schlauen Museumsführer wird Lepra nach dem Entdecker des Erregers auch Hansen-Krankheit genannt.

lepra

Was wir mit den mindestens 4 Monate alten, auf meteorologischen Expeditionen mitgereisten, rot eingeschweißten Babybel machten, die Valerie in den Untiefen ihrer Jacke fand, bleibt der Fantasie des Lesers überlassen.

Nach einer wohltuenden heißen Dusche besorgten wir gemeinsam mit Steffi, einer quirligen deutschen Meteorologin, die im selben Haus wohnt, die Zutaten für chinesische Knödel. Steffi hatte zu einem gemeinsamen Kochen und Essen 6 Studenten eingeladen, wobei wir sogar eine Stunde früher kommen durften, um ihren W-LAN-Rooter mit drei Laptops herauszufordern. Unter den strengen Augen einer chinesischen Expertin erlernten wir die richtige Technik, um aus den hauchdünnen Miniatur-Teigfladen – teils selbst gemacht, teils gekauft – mit einer Füllung aus Faschiertem, Lauch und Ingwer dekorative Taschen zu falten. Dennoch entwickelte jeder seine eigene Methode, sodass wir schließlich 7 unterschiedliche Chargen frittierten und kochten. Mit einer für mich neuen norwegischen Biersorte, Ringnes, die sich geschmacklich nicht nennenswert vom Frydenlund abhebt, einem griechischen Retsina, der wegen der außerirdischen Zeichen zunächst als russischer Weißwein angeboten wurde, deutschem Riesling und Campari feierten wir eine kleine internationale Party. Steffi besitzt die englische Version von Tabu, einem Spiel, bei dem unter Zeitdruck möglichst viele Begriffe erklärt und von den Mitspielern erraten werden müssen, wobei einige angeführte, eng verwandte Bezeichnungen eben nicht verwendet werden dürfen, also tabu sind. Drei Österreicher, zwei Deutsche, eine Chinesin und eine Norwegerin meisterten diese Aufgabe mit recht abenteuerlichen Gedankensprüngen, bevor Steffis Übermacht in diesem Spiel doch zu groß wurde. Daher gingen wir dazu über, dass jeder ein Wort bzw. einen Satz auf einen Zettel schrieb, an den Nachbarn weiterreichte, dieser den Begriff bzw. Satz zeichnete, der nächste das Kunstwerk beschrieb, der nächste das Beschriebene malte usw., bis jeder wieder den eigenen Zettel in Händen hielt. Dabei verwandelten sich Mäuse in Bären, Schulkinder in Exhibitionisten und Toiletten in Geldbörsen. Manche Chronologie lohnt es sich zu archivieren…